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Back All (11)

"Stell dir vor, der Dämon hat sogar nen Namen", unterrichtete Louise ihre Freundin auf dem Weg zum Bahnhof. Es war kalt und regnerisch, verdammter Herbst. Eigentlich war der Herbst ihre liebste Jahreszeit, aber sie hatte begonnen, ihn abgrundtief zu hassen. Und dabei spielten die letzten Ereignisse eine entscheidende Rolle.
"Wow", machte Nina und wich einer Regenrinne aus, die ihren Inhalt nachlässig auf dem Gehsteig verteilte und diesen zu einem kleinen See umgestaltete. "Und wie heißt unser Verehrer?"
"Luigi Andolini oder so ähnnlich."
"Hm. Italiener. Was zur Hölle will ein Italiener hier?"
"Gute Frage."
Eine Weile schwiegen sie, dann hob Louise wieder an. "Wir könnten ihn googeln. Vielleicht steht was über ihn im Internet."
"Einen Versuch is es wohl wert."
"Will ich aber auch meinen."
Während sie den Weg zum Bahnhof wie im Schlaf gingen, plapperten Schüler um sie herum lautstark, aber es war erstaunlich: Sie störten die Gedanken der beiden Mädchen keineswegs. Früher hätten sie Mordgedanken bekommen, weil die kleinen Pimpfe sie einfach anrempelten ohne sich zu entschuldigen oder ihren Drecksmüll auf der Straße rumschmissen. Aber jetzt hatten sie genug andere Probleme, als sich darum zu kümmern.
Sie nahmen eine Abkürzung und der Lärmpegel reduzierte sich etwas. Der Kies unter ihren Füßen knirschte. Zu ihrer Linken erhob sich eine brüchige Steinzeitmauer, an deren Ecke ein noch älteres Haus stand. Na ja, man konnte es kaum als Haus bezeichnen. Eine Bruchbude würde dem wohl eher nahekommen. Aber das Gebäude war gar nicht der Auslöser für Louises Panikattacke.
Auf dem Dach hockte eine Horde Krähen und starrte sie aus goldenen Augen grimmig an.
sofort blieben die Mädchen stehen.
"Ach du Scheiße", murmelte Nina und klammerte sich an ihrem Schulranzen fest. In diesem Moment dachte Louise daran, dass man den Rucksack als Waffe benutzen könnte. Wahnwitzig. Aber Not machte bekanntlich erfinderisch.
"Genau wie die Vieher bei Sport", erwiderte Louise ebenso leise, obwohl sie bezweifelte, dass die Lautstärke einen großen Unterschied für die Reaktion der Vögel machte. Sie würden sich ohnehin bald auf sie stürzen, wie ihre Raubtieraugen verraten ließen.
"Alte, das is noch unheimlicher als die Flabberdinger, die in der Schule rumgeistern."
"Ja, weil die in der Schule bleiben und keinen Freilauf kriegen."
"Was machen wir denn jetzt, verdamt?"
Louise überlegte kurz, dann zuckte sie hilflos mit den schultern. "Gehen wir einfach ganz leise und langsam an ihnen vorbei."
Nina starrte sie völlig entgeistert an. "Bist du vollkommen bescheuert? Die stürzen sich auf uns wie in dem Film!"
"Welcher Film?"
Aber Nina winkte ungeduldig ab. "Egal."
"Na toll. Fällt dir etwa was besseres ein?"
"Wegrennen."
Louise schnaubte. "Und du glaubst, dann verfolgen sie uns bestimmt nicht?"
Nina blieb stumm. Ihr Plan würde ihnen ganz sicher viele Schrammen und Kratzer beibringen, wenn's denn dabei blieb. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. "Na gut, aber auf deine Verantwortung."
"Wenn ich dann noch lebe, gerne."
So langsam, als gingen sie auf rohen Eiern, schlichen sie die Gasse hinab und drückten sich an die gegenüberliegende Mauer, die Blicke starr auf das Dach der Bruchbude gerichtet. Es war das Unheimlichste, was Louise je erlebt hatte. Nun ja, in den letzten paar Tagen erlebt hatte. Die Raben - oder Krähen, wie auch immer - folgten den beiden Mädchen mit den glitzernden Goldaugen und drehten dabei nur die Köpfe. Wie Eulen. Nur dass Eulen hübsch und putzig und keine Vorliebe für verängstigte Mädchen hatten.
"Gaaaaaanz langsam", murmelte Nina und schob sich an der Wand entlang. Louise folgte ihr dichtauf. Ihr Herz pochte laut in ihrer Brust und beruhigte sich erst, als sie den Torbogen erreicht hatten, der sie vom Haus mit den Raben trennte.
sie rasten hindurch und spurteten über die kleine Brücke, durch die enge Gasse und auf die mit Menschen gefüllte Straße. Außer Atem blieben sie an einer Hausecke stehen und brauchten lange, um zu Atem zu kommen.
"Also ... .ehrlich", meinte Nina und schluckte, bevor sie sich aufrichtete. "In den letzten Tagen hab ich mehr Sport gemacht als je in meinem Leben."
Louise nickte nur zustimmend und fuhr sich über das mit kaltem Schweiß benetzte Gesicht. Kalter Wind fegte durch die Straße und ließ sie erzittern.
"Oh, Mann, ich hab echt keinen Bock mehr auf den ganzen Scheiß", maulte sie und atmete ein letztes Mal tief durch.
"Was wollte er damit erreichen?", fragte Nina, als sie sich wieder auf den Weg machten.
"Keinen Peil. Echt nicht", meinte Louise niedergeschlagen, weil sie auf keine verdammte Frage den Hauch einer Antwort hatten. "wenn er uns erschrecken wollte, hat er das mit Bravour geschafft."
"Glaub ich nicht."
"Was?", hakte Louise nach und sah ihre Freundin von der Seite an. Diese blickte ernst drein.
"Dass er uns nur erschrecken wollte. Kann ich mir nich vorstellen. Ich glaub eher, dass es so ne Art Warnung war."
"Aber Warnung vor was? Dass er uns unser Leben lang verfolgen wird? Toll, das wussten wir auch schon vorher."
Stumm legten sie den Rest des Wegs zurück und setzten sich dann immer noch schweigend in ihre Sitze. es war ein Wunder, dass sie um diese Uhrzeit überhaupt einen Sitzplatz ergattern konnten. Kinder rannten herum, manche mussten stehen. Louise sah einen Jungen, der in einer Ecke mit Ohrstöpseln stand, die Kappe tief ins Gesicht gezogen und im Stehen zu Schlafen schien.
"Ehrlich, Zug fahren ist der Hammer. Im Bus ist es immer tödlich langweilig."
Nina hob eine Braue. "Ich muss Zug und Bus fahren, und beides ist gleich beschissen."
Louise zuckte mit den Schultern und sah nach draußen. Auf dem Bahnsteig schlenderten ein paar Leute herum, einige wenige Schüler waren auch noch draußen und warteten auf ihren Zug. Und plötzlich flog ein schwarzer Schatten direkt vor ihrem Fenster vorbei.
"AAAHH! Nina, schau mal!", rief sie und selbst über das Gebrüll der Kinder war sie gut zu hören gewesen. Nina sah auf und legte die Stirn in Falten.
"Was?"
"Da war grad so ein Rabe!", flüsterte sie ihrer Freundin nun eindringlich zu.
"Echt?" Louise nickte heftig. "vielleicht war's ein stinknormaler?"
Louise legte den Kopf schräg und sah ihr Gegenüber vorwurfsvoll an. "Wie viele Raben siehst du hier direkt am Fenster vorbeifliegen?"
Nina zuckte die Achseln. "Keine?"
"Hunder Punkte für die Kandidatin in der braunen Jacke un den zerwühlten Haaren!" Louise lachte beim Anblick von Ninas Gesichtsausdruck auf und lehnte sich dann in ihren Sitz zurück.
"Er verfolgt uns."
"Ja."
Die restliche Fahrt über blieben sie still. Auch als sie umsteigen mussten und mit dem Bus alle Käffer abklappern mussten, wechselten sie kein Wort. Erst, als sie bei Nina daheim angekommen waren, sprachen sie wieder, aber nicht über den Dämon und seine Lakeien. Beim Essen, das Ninas Mum liebevoll zubereit hatte, redeten sie nur über ihre blöden Lehrer, wie viel sie lernen mussten und lästerten über die Sesselpupser im Kultusministerium ab. Dann verzupften sie sich in Ninas Zimmer und vorsichtshalber schloss diese ihre Türe zu.
"Will nich, dass meine kleine Sis reinkommt und uns nervt", meinte sie und fläzte sich in ihren Schreibtischstuhl. Louise ließ sich auf das harte Mini-sofa fallen und guckte von dort aus zu.
"Okay, dann googeln wir den alten Dämon doch mal."
Gespannt blickten die Mädchen auf den Laptop. Endlich kamen die Ergebnisse. Der erste Link verwies auf Facebook.
Sie starrten den Link an, dann brachen sie in Gelächter aus. "Der Alte hat Facebook? Wow! Und ich dachte, der hängt seit Jahren auf dem Speicher rum. Hey! vielleicht ham die da oben Internetanschluss", lachte Nina und klickte auf den Link. Aber sie wurden enttäuscht. Kein Bild, keine Kommentare, weder Freunde noch andere Informationen.
"Ich glaub nich, dass das unser Dämon ist", meinte Louise und Nina nickte zustimmend. "Vielleicht ist der Name in Italien sehr verbreitet?"
"Kann sein. Ich war nur ein paar Mal in Italien, die Sprache kann ich auch nich wirklich. Wir waren immer nur in Südtirol."
"Haha, toll."
Das nächste war eine Hausarbeit verfasst von Luigi Andolini und man konnte die fü 0,99ct runterladen.
"Oh mann, wer schreibt denn bitte über "Die deutschen Christen - Die nationalsozialistische Bewegung in der Evangelischen Kirche Deutschlands"?", fragte Nina und schüttelte den Kopf.
Louise zuckte die schultern. "Ich bin Atheistin."
Die nächsten Seiten waren alles Nieten. Ein Architekt, der mit Nachnamen Luigi hieß, ein Don Eduardo auf Facebook und so weiter. Es dauerte nicht lang, dann waren beide dermaßen deprimiert, dass Nina den Laptop missmutig ausschaltete und sie sich neben Louise auf das sofa hockte.
"Nix."
Louise brummte eine unverständliche Antwort.
"Und jetzt?"
Sie schwiegen.
"Vielleicht gibt's bei uns in der Schule im Archiv irgendeinen Hinweis, wer er sein könnte?", schlug Louise vor.
"Wir haben ein Archiv?"
Louise nickte. "Kaum zu glauben, aber ja, wir haben ein Archiv. Da darf nur nie jemand rein. Außer die Bibliothekarin der Oberstufen-Biblo. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die uns da reinlässt, ist eher gering."
"Wir könnten sagen, dass es für Forschungszwecke für unsere Seminararbeit geht."
Louise dachte kurz darüber nach. "Klingt gut."
"Sicher. Kommt ja auch von mir", grinste Nina.
"Haha."
"Sag mal, wann meldet sich Loui eigentlich immer?"
Louise sah auf. "Wer ist Loui?"
"Na, der Dämon."
"Achso. Ähm....weiß ich nicht. das erste Mal war nach Sport. Das zweite Mal im Klo, als ich meine Mum angerufen hab. Der Typ kommt und geht, wann er will. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie scheiße sowas ist?"
Nina lachte ohne Freude auf. "Nein, und des will ich auch nie."
"ich weiß nicht mal, ob er meine Gedanken lesen kann oder nicht. Oder ob er nur das hören kann, was ich sage. Sowas von frustrierend."
"Hmmm...."
"Können wir uns nich irgendwie von der ganzen Story ablenken? Ich hab keinen bock, die ganze zeit drüber nachdenken zu müssen, ob der Typ mich jetzt abhört oder nicht."
Nina war schon aufgestanden. "Klar. Ich hab nen Anime da, den ich noch nicht kenne."
"Blutig?"
"Glaub schon."
"Gut. Auf geht's."

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