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ID k5bqas

Back All (10)

Albträume waren vorprogrammiert. Natürlich. Sie träumte von irgendwelchen schwarzen Riesenvögeln, die sie mit ihren goldenen Augen mordlüstern verfolgten und knapp über ihren Kopf hinwegflogen und ihr beinahe ein paar Haarbüschel mit herausrissen. Und dann war da noch diese krächzende Stimme des Dämons, dievon nirgendwo und überall her ertönte.
Nachdem sie schweißgebadet wieder aufwachte, konnte - und wollte - sie sich an nichts mehr erinnern. Sie hievte sich aus dem Bett, wankte nach unten in die Küche und trank etwas Wasser. Müde wandelte sie die Treppe wieder hinauf und legte sich zurück ins Bett.
Aber schlafen konnte sie nicht mehr.
Den Rest der Nacht lag sie dösend im Bett, starrte in die gähnende Schwärze ihres Zimmers und versuchte so wenig wie möglich an die Vorfälle denken, die ihr in den letzten Tagen widerfahren waren.
In der Schule konnte sie sich auf nichts konzentrieren und brachte die Lehrer damit in den Wahnsinn, wenn sie es wagten, sie aufzurufen.
Selber Schuld, dachte Louise grummelnd und fläzte sich in ihren Stuhl in der Bibliothek. Den ganz außen. Nina saß neben ihr. Auch sie sah nicht gut aus. Blass, dunkle Augenringe. Wie ein Zombie.
Das wird echt zum Dauerzustand.
"Jo", machte Louise und wandte den Kopf schwerfällig zur Seite.
"Hm?", grummelte Nina, die wie tot in dem roten Schwingsessel hockte.
"Hast du wieder irgendwelche komischen Sachen gesehen?"
Zuerst antwortete Nina nicht, dann aber atmete sie tief durch und nickte. "Überall sind diese Teile. Na ja, nicht überall. Nur in der Schule. Wenn ich vom Gelände runtergeh, sind sie weg. Einfach so." Sie klatsche mit den Händen und machte "Schwupp!"
"Na, ist doch toll. Wenigstens daheim hast du deine Ruhe."
"Glaubste ja selber nicht! Ich hab die ganze Zeit Angstzustände, dass sich die Vieher auch bei mir daheim irgendwann blicken lassen. Der totale Horrortrip!"
Louise brachte ein schiefes Grinsen zustande, mehr nicht.
"Und wie geht's dir so? Du siehst auch nicht grade super aus."
"Danke. Mir geht's ... umwerfend."
"Ironie."
"Jep."
Sie schwiegen eine Weile, dann fragte Nina leise: "Und ... was genau erzählt er dir so?"
Louise hatte ihr heute Morgen erzählt, was gestern nach Sport passiert war. Natürlich war diese voll von den Socken gewesen.
"Nicht viel. Gestern war das erste Mal, dass ich ihn gehört hab. Und ich hoff auch das letzte Mal. Aber das bezweifle ich stark."
Nina nickte schweigend.
"Verdammt, so ein Scheißdreck", murmelte Louise und seufzte tief. "Wenn wir da nie hochgegangen wären, wär das alles nicht passiert."
"Ja, schön, aber das hilft uns jetzt nicht viel."
"Vielleicht, wenn wir uns irgendwie ... bei ihm entschuldigen würden?"
Nina lachte schnaufend. "Und was glaubst du, macht der mit uns? Der wird uns erst gar nicht zu Wort kommen lassen. Wahrscheinlich frisst er uns, oder steckt uns in irgendwelche Mini-Wasserflaschen, in denen wir dann Jahrhunderte lang rumgammeln müssen und er hat freies Spiel und -"
"Du hörst dich an, als würde uns ein Weltuntergang bevorstehen!"
"Tut's auch! Jedenfalls für uns."
Eine Weile Stille. Dann meinte Nina: "Irgendwas müssen wir machen."
"Meine Rede."
Sie überlegten. Nichts kam bei raus. Entweder würden sie bis an ihr Lebensende Stimmen bzw. merkwürdige Gestalten sehen und hören, oder sie würden in Einwegflaschen gesteckt werden und auf dem Speicheraufgang verrotten.
Oder - aber daran wollten sie nicht mal denken - er würde sie töten.
"Aber was hat er davon?", fragte Louise sich leise.
"Was?"
"Ich hab überlegt, wenn er uns umbringt, was er dann davon hat?"
Nina starrte sie aus riesigen Augen an. "Stehst du auf Droge oder so?!"
Louise winkte genervt ab. "Wieso? Man muss an alles denken."
"Du laberst grade über unseren Tod! Wir sind erst siebzehn!"
"Bald achtzehn."
"Toll. Dann stirbst du eben volljährig."
"Du hast doch selber gesagt, wir müssen an alles denken, oder nicht?"
Nina verstummte und sagte nichts mehr. Dann gongte es zur zweiten Stunde und trübselig schlenderten sie dorthin. Unterwegs nervten die "schwarzen Fladderdinger", wie Nina sie so treffend bezeichnet hatte. Aber als sie dann in Psycho saßen - umgeben von diesen Viechern - schrieb Nina etwas auf einen Zettel und schob ihn zu Louise rüber.
"Sie haben sich verändert."
"Und wie?", schrieb Louise drauf und schob den Zettel unauffällig zu ihrer Freundin, während sie dem Unterricht folgte. Oder zumindest so tat.
Nina kritztelte etwas darauf. "Sie haben irgendwie Gestalt angenommen. Sie sehen ... fester aus. Fast so, als könnte man sie anfassen."
"Haben sie ein Gesicht?"
Als Nina das las, erschauerte sie. "Schwer zu sagen. Augen auf jeden Fall. Goldene."
Diesmal rann Louise ein Schauer über den Rücken. "Ich hab gestern in Sport diese aufgeklebten Vögel gesehen, wie die lebendig geworden sind. Und die hatten auch goldene Augen."
"Unheimlich."
"Kannste laut sagen, Mädchen."
Damit stellten sie ihren "Redefluss" ein und hingen jeweils ihren Gedanken nach. Louise war nach fünf Minuten so verwirrt, dass sie einfach alles über den Haufen schmiss und nun wirklich dem Unterricht folgte - so erstaunlich das auch klingen mochte.
"Hey, Louise!"
Sie zuckte zusammen und sah auf. Nina und sie saßen im Klassenzimmer von Latein und warteten, bis die Pause vorüber war.
"Was?"
"Willst du heute mit zu mir? Wir könnten ein paar Mangas lesen."
Louise dachte darüber nach, dann zuckte sie die Schultern. "Klar, warum nicht. Ich geh mal schnell meine Mum anrufen, okay?"
"Jup."
Louise nahm ihr Handy und schlenderte damit aufs Mädchenklo. Gott sei Dank, es war leer. Sie musste nicht lange warten, bis ihre Mum abhob.
"Hey, Mama. Ich wollt fragen, ob ich nach der Schule mit zu NIna kann."
Sie überlegte einen Augenblick, dann antwortete sie: "Na gut." Hört sich nicht begeistert an. "Aber nicht zu lange, ja?"
"Geht klar. Danke. Bis später dann."
"Tschüss. Und pass auf dich auf, ja?"
Louise nickte genervt. "Ja, immer."
"Gut, tschüss. Und viel Spaß."
"Danke. Bye."
Louise legte auf und lehnte den Kopf gegen die kühle Wand.
"Das wird lustig", flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf und lachte leise auf. Louise erstarrte und umklammerte ihr Handy.
"Geh. Raus. Aus. Meinem. Kopf!"
"Nein."
"Sie können mich verstehen?"
"Natürlich kann ich dich verstehen. Was glaubst du denn, meine Liebe?"
Louise war sprachlos. Sie hatte gewusst, dass sie ihn hören konnte, aber dass das umgekehrt auch klappte war ... schockierend. Im ersten Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
"Kann ich Sie was fragen?"
"Selbstverständlich, aber nur wenn du mich mit Du ansprichst." Er lachte entzückt auf. Louise verzog angeekelt das Gesicht.
"Na gut. Also, warum machst du das alles? Kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen? Bitte?", fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
"Nein, das will und kann ich nicht."
"Und wieso nicht?"
"Hm... erstens, weil es einfach zu viel Spaß macht. Und zweitens seid ihr mir noch etwas schuldig."
"Wir schulden Ihnen ... dir gar nichts!", rief sie verärgert aus und starrte sie in dem Spiegel an. Ein heftiger Schauer lief durch ihren Körper, als sie sich ihre Augen näher betrachtete. Normalerweise waren sie grau mit grünen Sprenkeln. Aber jetzt hatten sie einen goldenen Schimmer angenommen. Ihr klappte der Mund auf.
"Oh doch. Ich bin enttäuscht von dir, Louise. Sag bloß, du hast das vergessen!"
"Was denn?", zischte sie ihrem Spiegelbild zu.
"Ich habe euch beide - dich und deine kleine Freundin - zu meinen Gefährtinnen ernannt. Ihr werdet mit mir zusammenleben. Früher oder später werdet ihr zu mir zurückkehren." Er lächelte hämisch. Und Louise auch. Sein Lächeln schien sich auf ihrem eigenen Gesicht zu manifestieren und durchzuscheinen. Entsetzt schlug Louise sich auf die Wangen.
"Du spinnst ja vollkommen! Also ob wir das machen würden!"
"Es ist keine Frage, die euch betrifft. Ich habe entschieden."
"Ach, ja? Und wer bist du, dass du einfach entscheiden kannst, was mit uns abgeht?"
"Meine Güte, wie unhöflich von mir!", rief er aus und seine Stimme hallte in ihrem Kopf wider. "Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Wenn Sie gestatten, Signora, Luigi Andolini, mein Name."
Ein Italiener? Das wird ja immer lustiger.
"Wow, toll. Schön für dich. Meinen Namen kennst du ja schon. Leider. Ist doch scheiß egal, wie du heißt! Du hast kein Recht, uns so was anzutun, also verpiss dich gefälligst!"
Sie stand schnaubend und mit erhobenem Zeigefinger vor dem Spiegel und schrie sich selber an.
"Eh. Entschuldigung", räusperte sich jemand von der Tür her. Louise fuhr herum und starrte ein verängstigtes Mädchen an.
"Oh." Louise wurde die Situation klar, sie errötete heftig, wandte sich vom Spiegel ab und rannte aus dem Klo.
Das kleine Mädchen würde noch Tage danach an dieses Furcht erregende Gesicht denken müssen und sogar Albträume davon bekommen.

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