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Back All (6)

Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend ging Louise langsam auf das Schulgebäude zu. Es war kalt und der Atem der Schüler stieg in weißen Wolken vor deren Gesichtern auf. In einer Hand trug das Mädchen ihren Ordner und in der anderen eine Tasche, in der ihr Badmintonschläger eingepackt war.
Im Schulhaus war es nicht gerade wärmer, aber immerhin ging hier kein Wind, der einem die Frisur zerstörte. Louise hatte in der ersten Stunde frei und so verstaute sie ihren Badmintonschläger im Spind und ging dann in die Biblo. Als sie die Treppe in den ersten Stock hinaufging, glaubte sie ein entferntes Heulen zu hören. Erschrocken blieb sie stehen und horchte.
Aber da war nichts mehr.
Louise stieß ein genervtes Stöhnen aus.
"Reiß dich mal zusammen!", maulte sie sich selbst an und stapfte auf die Tür zu. Drinnen war es angenehm warm und es brannte schon Licht. Sie ging durch den kleinen Gang, der die beiden Räume miteinander verband und setzte sich an den erstbesten Tisch hin. Sie seufzte und verbarg das Gesicht in den Händen.
In der letzten Nacht hatte sie kein Auge zugetan. Immer und immer wieder waren ihr die seltsamsten Gedanken im Kopf herumgegangen und das Gesicht des Dämons hatte sie nicht mehr losgelassen. In den Schatten ihres Zimmers hatte sie angefangen, irgendwelche Dämonen zu sehen, die es gar nicht gab. Sie war sich wie ein verschrockenes kleines Kind vorgekommen.
Um sich von ihren düsteren Gedanken abzulenken, durchstöberte sie die Regale. Sie fand sogar eine Abteilung, in denen Romane stande - zugegeben, alte Romane. Aber besser als irgendwelche Bücher über Genetik oder Römische Kunst. Also zog sie ein Buch von Kafka heraus und begann, zu lesen. Erstaunlicherweise gefiel ihr sein Schreibstil und die Geschichte war äußerst amüsant, also las sie ziemlich viel, bis es zur zweiten Stunde gongte.
Rasch packte sie ihre Sachen zusammen, stellte das Buch - schweren Herzens - zurück an seinen Platz und machte sich in Richtung Klassenzimmer auf.
Bald darauf begegnete sie Nina, die genau so aussah, wie sie sich fühlte: Wie ein Zombie.
Die ungekämmten Haare standen ihr zu Berge, die Augen waren klein und sie hatte Schatten unter den Augen.
"Morgen", murmelte Nina und ließ sich wie ein toter Mehlsack auf den Stuhl neben Louise fallen. Sie machte sich nicht mal die Mühe, ihre Sachen für den Unterricht herauszukramen. Ehrlich gesagt wusste Louise auch nicht, was sie für einen Unterricht jetzt hatten... es war ihr egal, sie war hundemüde.
"Morgen", entgegnete diese und seufzte. "Wie's scheint, hast du auch nicht viel Schlaf bekommen."
Langsam drehte Nina den Kopf in ihre Richtung und brachte ein abfälliges Schnauben zustande.
"Du untertreibst. Ich hab solche Panik gehabt, dass ich zu meinem kleinen Bruder ins Zimmer bin, der schnarcht, dass sich die Balken biegen. Dann bin ich zu meiner kleinen Sis und die hat mitten in der Nacht angefangen, zu schreien. Meine Mum kam rein und hat mir tatsächlich 'nen Tee gemacht, bei dem ich buchstäblich das Kotzen gekriegt habe." Sie seufzte und schüttelte den Kopf. "An Schlaf war nicht mal zu denken."
"Oh", war alles was Louise darauf antworten konnte. Da hatte sie es ja noch einigermaßen gut gehabt.
Der Unterricht begann und sie verstummten. Normalerweise hätten sie sich ab und an unterhalten oder irgendwas auf den Tisch gekritzelt mit dem Inhalt: "Ich will heim." oder "Wie bescheuert ist das denn?" und "Schau dir mal an, was die heute wieder für hässliche Schuhe anhat."
Aber heute starrten sie nur geistesabwesend vor sich hin und lasen, wenn man sie denn aufrief, mit monotoner Stimme irgendetwas vor, von dem sie keine Ahnung hatten, worum es überhaupt ging. Vermutlich ließen die Lehrer sie in Ruhe, weil sie beide wie lebende Toten aussahen.
Hm, dachte Louise. Muss ich mir merken.
Wären sie in einem dieser japanischen Comics, würde um sie herum eine schwarze Wolke wabern und groß und breit ein Schild mit der Aufschrift "Gloomy" über ihnen hängen.
Am Ende wussten sie nicht mehr, wie sie diese fünf Stunden Unterricht überstanden hatten. Als es dann zur Mittagspause gongte, waren sie wie durch ein Wunder hellwach.
"Was hast du eigentlich zu deiner Verteidigung mitgebracht?", fragte Louise ihre Freundin leise, während sie sich auf den Weg zum Spind machten. Diese grinste plötzlich fies und zog einen Baseballschläger hervor, den man zusammenklappen konnte. Louise beäugte das Ding und warf ihrer Freundin dann einen skeptischen Blick zu.
"Was denn? Das war das naheliegendste, das mir spontan eingefallen ist", verteidigte Nina sich und zog eine Schnute. "Und was hast du dabei, um dem Dämon den Hintern zu versohlen, falls er fiese Matenten macht?"
"Hee hee", machte Louise nur und zeigte ihrer Freundin dann den robusten Badmintonschläger und ihr Haarspray, das sie mitgebracht hatte.
"Ein Haarspray?"
"Jep." Louise hielt es hoch. "Mit Zitronengrasgeruch und zehn Prozent mehr Inhalt. Wenn der mir blöd kommt, sprüh ich ihm das Zeug einfach in die Augen."
Diesmal war es Nina, die lauthals loslachte.
"Wieso? Ist doch ne gute Idee, oder? Pfefferspray ist bei uns leider ausgegangen", meinte Louise sarkastisch und verstaute ihre Tasche inklusive der Sachen von Nina im Spind. Bei ihrer Ninas-Schlüssel-Zurückholen-ohne-von-bösem-Dämon-aufgefressen-zu-werden Aktion konnten sie ihre Taschen nicht gebrauchen.
"Ah. Ich hab noch was dabei." Nina zog eine übergroße Taschenlampe aus ihrer Tasche, bevor Louise abschloss.
"Wooooow!"
"Schon, oder?" Nina grinste hinterhältig.
"Wo hast du denn dieses Teil her? Mit dem kann man ja einen erschlagen!" Fasziniert nahm Louise die Taschenlampe genauer in Augenschein.
"Von meinem Dad hab ich die. Du weist ja, er ist Bauvorarbeiter und irgendwann hat er eben mal so ein Teil mitgebracht. Ziemlich praktisch, oder?"
"Aber auf jeden Fall."
Sie gingen die Treppe in den zweiten Stock hinauf und hielten dann kurz vor der braunen Tür inne.
"Ok, hier ist der Plan", begann Louise und wandte sich ihrer Freundin zu. "Wir gehen zusammen die Treppe hoch, in diesen Speicheraufgang, du schnappst dir deinen Schlüssel und rennen dann was das Zeug hält raus. Kapiert?"
Nina nickte entschlossen und Louise trat vor. Sie atmete ein letztes Mal tief durch und drückte dann die Klinke nach unten. Schnell huschten sie in den Raum und schlossen die beiden Türen hinter sich. Drinnen war es kühl und staubig. Und still. Kein verdächtiges Geräusch war zu hören.
"Leise", flüsterte Louise und packte ihren Badmintonschläger fester. Den Finger hatte sie schon angriffsbereit auf den Auslöser ihres Haarsprays gelegt.
Auf Zehenspitzen erklomm sie die knarrende Treppe und spürte, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Sie wartete, bis auch Nina oben angelangt war, dann nickte sie. Nina ging vor und stieß die Türe auf, die Taschenlampe mit der Rechten umklammert, den Baseballschläger mit der anderen.
Langsam schwang die Tür auf und machte den Blick auf diesen verfluchten Ort frei. Es war wie immer. Die Rohre arbeiteten, ein kühler Lufthauch fuhr durch das Haar der Mädchen und ganz hinten beschien das Tageslicht den unheimlichen Stuhl mitsamt Seil.
"Schnell!", zischte Louise und folgte Nina dichtauf in den Speicher. Sie riss die Augen auf, doch es half nicht viel. Sehen konnte sie nicht viel.
Es dauerte nicht lange, bis Nina ihren Schlüssel endlich gefunden hatte. Er lag genau dort, wo sie gestern gestanden hatten.
"Super, gehen wir!", drängte Louise und drehte sich zur Tür um. So schnell, dass ihre Sportlehrerin mehr als stolz auf sie gewesen wäre, rasten sie nach draußen und schlugen die Tür hinter sich zu. Draußen atmeten die beiden erleichtert auf.
"Hey! Das war ja gar nicht so schlimm", lachte Nina und setzte einen Fuß auf die Treppe, als Louise etwas aus dem Augwinkel wahrnahm und ihre Freundin an den Schultern zurückriss.
"Was - ?" Aber weiter kam Nina nicht. Ihr stockte augenblicklich der Atem und die beiden Mädchen klammerten sich aneinander.
Was Louise gesehen hatte, war schwarzer Rauch, der das Geländer heruntergewabert war und die Treppe knarzte laut. Am Ende der Stufen wirbelte der Rauch umher, bis er sich manifestierte.
Und der Dämon erschien.
Die Mädchen waren zu schockiert, um schreien zu können. Sie starrten den Dämon nur an. Etwas an ihm hatte sich verändert. Er schien größer zu sein. Und sein helles Gesicht hatte einen gemeinen Ausdruck angenommen. Zorn lag darin, das war ganz eindeutig.
"Ah. Es ist schön euch beide wieder zu sehen", sagte er mit sanfter Stimme und lächelte ein bösartiges Lächeln.
Was ist mit ihm passiert? fragte Louise sich.
"Ich dachte schon, ihr würdet mich gar nicht mehr besuchen und vergessen." Er lächelte weiter, während er einen Fuß auf die unterste Stufe setzte.
"HALT!", rief Louise plötzlich und streckte eine Hand aus, als könnte sie ihn somit aufhalten. "Bleiben Sie da stehen." Sehr zu ihrem - und auch Ninas - Erstaunen blieb er stehen und sah sie an. "Sagen Sie uns, was Sie von uns wollen. Bitte", fügte sie ein wenig verspätet hinzu und hörte, wie ihre Stimme leicht zitterte.
Der Dämon sah sie an und sein Blick bohrte sich regelrecht in ihre Augen. Am liebsten hätte sie weggesehen, aber sie konnte es nicht.
"Was ich von euch möchte?", wiederholte er leise und seufzte. "Nun, zu Anfang wollte ich nur jemanden haben, mit dem ich mich unterhalten konnte. Ich war so lange allein, dass ich fast verlernt habe, wie es ist, einen anständigen Gesprächspartner zu haben. " Er schüttelte den Kopf. "Aber ihr habt mich enttäuscht. Ihr habt mich gekränkt und gedemütigt. Das kann ich euch nicht verzeihen, so reizend ihr auch sein mögt."
Die Mädchen zuckten bei dem Klang seiner wütenden Stimme zusammen.
"Was? Aber Sie müssen verstehen, dass wir total geschockt waren!", sprudelte es aus Nina heraus. "Man sieht ja auch nicht alle Tage einen Dämon aus dem Nichts aufsteigen. Denken Sie doch mal nach, wie das wäre, wenn Ihnen das passieren würde. Sie wären wahrscheinlich auch nicht so angetan davon gewesen, oder?"
Der Dämon lachte auf und schüttelte erneut den Kopf.
"Du magst Recht haben, mein Kind, aber trotzdem ändert das nichts an meinem Entschluss."
"Was für ein Entschluss?", fragte Louise, obwohl sie es lieber nicht wissen wollte. Ihre Fantasie spielte verrückt. Das war nicht gut.
Ein fieses Grinsen legte sich auf die Lippen des Dämons.
"Ihr werdet meine Gefährtinnen sein. Für den Rest eures Lebens. Ihr müsst mir gehorchen, mir meine Wünsche erfüllen und bei mir sein. Das habe ich mit euch vor."
Er kam eine Stufe weiter hoch und um ihn herum waberte es dunklen Rauch. Sein Blick heftete sich auf Louise, die ihn entgeistert anstarrte.
"Das ist doch nicht Ihr Ernst, oder?"
"Du musst wissen, Louise, dass ich nie spaße. Merke dir das, meine Liebe", sagte er und als er ihren Namen aussprach, ging ein Zittern durch ihren Körper und sie hatte Mühe, sich auf den Füßen zu halten.
"Louise, was geht denn mit dir ab?", rief Nina. Der Dämon wandte sich ihr zu.
"Deinen Namen kenne ich noch immer nicht. Das ist wahrlich eine Schande, aber das kann man sehr schnell ändern."
"Träumen Sie weiter, Mann! Oder Dämon. Was auch immer Sie sind. Wir lassen uns nicht so einfach von einem dahergelaufenen Typen wie Ihnen verarschen. Schreiben Sie sich das selbst mal hinter die Ohren!", schrie Nina ihn an, zog ihre Freundin hinter sich her und stürmte durch die andere Tür, die der ihnen bereits bekannten gegenüber lag.
Hinter ihnen hörten sie einen mehr als wütenden Zornesschrei, der ihnen durch Mark und Bein fuhr. Doch als Nina die Tür hinter ihnen wieder zuschlug, verstummte der Schrei und sie fanden sich in einem dunklen Raum wider.
"Scheiße, Nina! Wieso bist du nicht in den anderen gegangen? WIr wissen doch nicht, was für eklige Viecher hier vielleicht rumkriechen können!", rief Louise, die sich wieder gefangen hatte.
"An sowas denk ich doch nicht, wenn mir ein Dämon erzählt, was ich in fünfzig Jahren zu erwarten habe! Das ist voll mega-unheimlich! Da denkt mein Gehirn nicht richtig." Sie wandte sich ihrer Freundin zu. "Und sei froh, dass ich dich da raus geholt hab. Du hast ausgesehen, als hättest du 'nen Anfall oder so."
Louise blieb stumm. Sie wollte sich nicht daran erinnern, was mit ihr passiert war, als der Dämon ihren Namen ausgesprochen hatte. In irgendeinem Buch hatte sie mal gelesen, dass die Menschen, die den Namen eines Dschinn kannten, mit ihm anstellen konnte, was sie wollten. Jemand Fremden den eigenen Namen preiszugeben war also doch keine so prickelnde Sache.
Sie seufzte und fuhr sich durchs Haar. "Du hast doch eine Lampe dabei, oder?"
"Oh, stimmt genau."
Sofort erhellte die Killer-Lampe von Ninas Dad den Speicher, der dem anderen genau gleich sah. Nur dass sich ungefähr in der Mitte des Speichers eine Art weiße Ausbuchtung befand, die mit der Wand zu ihrer Linken verbunden war.
"Hm", machte Nina und ging voraus. "Nichts besonderes hier."
Louise folgte ihrer Freundin und sah sich um. Sie hatte Recht, hier war wirklich nichts Besonderes. Als Nina bei der merkwürdigen Ausbuchtung angelangt war, blieb auch Louise stehen.
"Da geht's wohin", stellte sie nüchtern fest und machte die Tür auf, bevor Nina sie stoppen konnte. "Was denn? Schlimmer als der Dämon da draußen kann's ja kaum werden, oder?"
Und tatsächlich führte eine alte Steintreppe nach unten. Sie stiegen sie hinab und kamen dann in einem ziemlich engen und muffigen ... Wandschrank an? Er erinnerte Louise an den Schrank unter der Treppe, in dem der arme kleine Harry Potter leben musste.
"Hm", machte sie und stieg vorsichtig über die Pinsel, Farbeimer und was noch nicht alles hinweg. Am Ende stand eine Tür einen Spalt weit offen. Behutsam lugte sie dahinter hervor und erkannte die Tische wider, die neben der Treppe standen. Sie befanden sich in der Treppe im Speicheraufgang.
Im Flüsterton erklärte sie Nina, wo sie waren und was sie zu tun gedachte.
"Bestimmt ist der Dämon noch da. Oder oben. Egal, auf jeden Fall noch zu nahe. Also stürmen wir aus dem Schrank hier und nach draußen. Wir schauen nicht zurück oder so, einfach nur vowärts, okay?"
Nina nickte. Sie schaltete die Lampe aus und atmete tief durch.
"Los geht's."
Sie huschten beide aus der Tür und rannten das kurze Stück auf die graue Tür zu. Nina riss sie auf und Louise knallte sie hinter sich zu. Das gleiche machten sie mit der anderen Tür, die nach draußen in den kalten Gang führte. Ihre schnellen Schritte hallten im ganzen Obergeschoss wider, doch darauf achteten die beiden Mädchen nicht. Sie rannten wieder nach unten zu ihren Spinden und nachdem sie wieder Luft bekamen, verstauten sie ihre Verteidigungswaffen, die glücklicherweise nicht zum Einsatz gekommen warne, im Spind.
Nina war heilfroh, ihren Schlüssel wieder zu haben und aß vor Freude gleich den Vorrat an Schoki auf. Louise lachte und war froh, dass das geklärt war. Nie wieder würden sie da hoch gehen. Nie...

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