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Patrick hört Stimmen. Er öffnet die Augen. Weiße Zimmerdecke. Weiße Wand, auf einer Seite zwei große Fenster. Er liegt im Bett, nicht sein Bett. Nicht sein Zimmer. Links von ihm die Tür. Im Türrahmen unterhalten sich zwei weißgekleidete Männer. Die Stimmen kommen ihm wage bekannt vor. Rechts von ihm ein weiteres Bett. Darin ein Mädchen, sechs bis zehn Jahre alt, blond. Patricks Kopf schmerzt. Einer der beiden Männer kommt lächelnd auf ihn zu. Er sei auf der Straße zusammengebrochen. Auf der Straße? Das Mädchen kommt ihm bekannt vor. Der Arzt folgt seinem Blick. Das arme Mädchen, sagt er leise, seit Wochen hier, kann das Zimmer nicht verlassen, schwere Krankheit. Patrick hört nur noch mit halbem Ohr zu. Es ist das Mädchen von der Parkbank, eindeutig. Daneben sitzt lächelnd seine Mutter. Mutter sollte tot sein, fällt es Patrick ein. Er kann nicht mehr folgen. Die Handlung wird langsam zum phantastisch für seinen Geschmack. Der Arzt redet beschwörend auf ihn ein, mit ruhiger Stimme. Und dennoch, Patrick könnte schwören, diese Stimme in ganz anderem Zusammenhang gehört zu haben. Drohungen ausstoßend. Von Gewalt und Schmerz war die Rede. Und von Mutter. Der Mann im weißen Kittel hat inzwischen das Thema gewechselt. Es geht um Untersuchungen, das Ausschließen des Schlimmsten, es ist ja nicht jeder Tumor gleich bösartig, aber wenn man einfach so zusammenbricht... Patrick wird langsam schlecht. Speiübel. Besser, er schließt die Augen. Sollen sie doch mit ihm machen, was sie wollen.

Als er die Augen wieder öffnet, streichelt eine unbekannte Frau seine Hand. Seine Verlobte, sagt der Arzt, sie sei natürlich sofort gekommen. Sie küsst ihn sanft auf die Stirn. Ein Hirntumor ist nicht das Ende, sagt sie. Sie nimmt ihn in die Arme und hält ihn fest. Warm und weich und duftend. Sie flüstert ihm tröstende Worte ins Ohr. Plötzlich ist Patrick nur noch ein heulendes Häufchen Elend. Das Mädchen schaut überrascht zu ihm herüber. Die Mutter hebt missbilligend eine Augenbraue. Patrick liegt zitternd in den Armen der Frau. Für lange Zeit hört man nur sein Schluchzen. Dann, endlich, wird Patrick ruhig. Eine tiefe innere Entspannung durchflutet ihn. Ein dunkler See im Mondlicht. Frieden. Patrick ist glücklich. Todkrank aber glücklich. Die Frau spürt es. Sie seufzt und lässt die Arme sinken. Sie wirft dem Arzt einen Blick zu, der nickt. Sie geht ohne ein Wort des Abschieds und hinterlässt einen leeren Sessel.

Es ist, als wäre der Vorhang gefallen. Die Tür fliegt auf und ein junger Mann steht da, der sich selbst für Patricks Freund hält. Patrick sieht das anders. Die beiden kennen einander kaum, warum sonst hätte er es für eine gute Idee gehalten, ihm einen Surprise Day zu bescheren? Patrick lauscht den Erklärungen des freudestrahlenden Freundes und fühlt sich um seine Zukunft betrogen. Die Frau ist nicht seine Verlobte. Er wird nicht zu ihr nach Hause gehen, er wird nicht in ihren Armen einschlafen. Er wird nie wieder in ihre verständnisvollen Augen sehen. Sie ist eine Schauspielerin, so wie die Ärzte, die Rettungsleute, die Entführer, das Mädchen. Und seine Mutter. Eine miese Schauspielerin, die sich Liebe heuchelnd in sein Leben drängt. Sie haben ihn hinters Licht geführt. Der Spaß ist vorbei. Er ist entlassen. Zeit zu gehen. Nach Hause. Zu Mutter. Patrick hat das Gefühl, den harten Aufprall körperlich zu spüren, als er sich wieder am Boden der Tatsachen findet.

Aus dem Surprise-Day-Recherchebericht: Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung ist zwar nicht völlig auszuschließen, aber auch nicht offenkundig. Daher liegen keine Gründe vor, den Auftrag abzulehnen.

Irgendwann ist die Kindheit vorbei. Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Patrick erinnert sich an den Tag, an dem sein Vater vom Freund zum Feind umfunktioniert wurde. An den Tag davor, den letzten seiner unbeschwerten Kindheit, erinnert er sich allerdings nicht. Danach wird jede Erinnerung von seiner Mutter beherrscht. Hysterisch, rachsüchtig, manipulativ, missgünstig, boshaft, besitzergreifend. Genau so, wie er sich als Kind die böse Hexe aus den Märchen vorgestellt hat. Eine ganz alltägliche Geschichte. Seit sie das Haus nicht mehr verlassen kann, fällt es auch Patrick schwer. Nicht aus Mitleid, im Gegenteil. Patrick studiert sie aus sicherer Entfernung, sucht nach der Lösung. Bis heute. Jetzt sieht er endlich klar. Er weiß, was er zu tun hat. Patrick macht sich auf den Weg nach Hause.

Unterwegs kauft er ein nagelneues Hackebeil. Dabei denkt er an Götz George in einem seiner Liebelingsfilme. Zuhause angekommen sperrt er die Tür auf, tritt in den Flur, hängt seine Jacke an den Haken in der Garderobe, zieht die Schuhe aus, stellt sie ordentlich nebeneinander an ihren Platz, zieht die Hausschuhe an, betrachtet kurz sein Gesicht im Spiegel, antwortet seiner Mutter, dass nur er es sei. Folgt ihrer keifenden Stimme ins Schlafzimmer, wo sie halb aufgerichtet in ihrem Bett liegt. Wirft einen letzten Blick auf ihre winzige Gestalt im weißen Baumwollnachthemd und hebt das Beil. Ihm fällt die plötzliche Stille auf, als sie verstummt. Bevor sie noch ein einziges Wort sagen kann, lässt er schnell das Beil auf sie niedersausen. Immer und immer wieder.

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Splitstories

  • Patricks Durchschnittsleben nimmt eine plötzliche Wendung, als er auf dem Weg zur Arbeit in einen Lieferwagen…

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