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Torben steuert seine Bimmelbahn durch die Lüneburger Heide, kulturkundige Kommentare kommen von Kassette. Kloster, Aussichtsturm, Storchennester, Fachhallenhäuser, Heidschnucken, Kirche, Kloster, Gedöns über den Heidedichter Hermann Löns, Naturschutzgebiet, Flora und Fauna. Es ist Sommer, Temperaturen wie Sauna. Scheiße heiß, Torben wischt sich Schweiß von der Stirn und blickt in den Rückspiegel. In dem Bimmelbahnwagen meist alte Leute, unter dem alten Hinweis-Schild „Das Hinauslehnen und Blumenpflücken während der Fahrt ist VERBOTEN!!!“ Kuh hebt Schwanz an, Kuh kackt. Das Ortsausgangsschild steht abgesackt im Graben.

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Torbens Handy klingelt, seine Schwester: „Na Tobi, was macht die Heimat?“ – „Kloster, Storchennest, ein Mühlenfest… Katja, ich fahr grad ’ne Tour. Ich ruf dich nachher mal an!“ – Katja schweigt, bleibt aber unbeirrt dran, Pause. „Wie geht’s dir denn, Katja?“ – „Ach, mir geht’s so seufz,“ sagt seine Schwester ins Telefon, und Torben denkt, das dürfte jetzt länger dauern. Er dreht den Ton zu den heimatkundigen Erörterungen leiser. Im Rückspiegel schütteln die alten Leute verärgert ihre Köpfe, Torben dreht an der Armatur die Knöpfe, schaltet schnell wieder laut. Am Aussichtsturm klemmt er das Handy zwischen Ohr und Schulter und dreht sich eine Zigarette.

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Die Hitze wird immer schlimmer. Dort hinten flimmert der Hengstberg. Torben muss bei diesem Wetter ständig an Sex denken. Der Ortsname Bispingen hört sich dann an wie „bespringen“. Heiß. Torben rinnt der Schweiß. Das T-Shirt zieht er nicht aus, weil das trotz seiner hier im Verhältnis jungen 30 Jahre nicht so geil aussieht. Im Rückspiegel glotzen alte Leute. So’ne Scheiße, schimpft er leise. Sicher der wärmste Tag seit der Weichseleiszeit. Er könnte sich darüber freuen, dass dort ein Schmetterling auf Blumen sitzt, der Hase durch die Heide flitzt (und rammelt). Nachts nackt im See schwimmen. Vögeln, singen, ähm, Vögel singen. Torben steuert seine Bimmelbahn und denkt an den Ostsee-Urlaub vor zwölf Jahren. In der Ferienanlage auf dem Balkon gegenüber wohnte das Mädchen seines Lebens, braune Locken und lange Beine. Zu schön für diese Ferienanlage, für dieses Land, für diese Welt. Torben starrte sie von seinem Fenster aus an, tagelang. Sie stand nach dem Duschen nackt im Handtuch auf dem Balkon, sie schüttelte ihr Haar, wobei ihre Brüste wackelten, besser: bebten, er hätte das Handtuch segnen mögen, wäre es heruntergefallen. Aber das Mädchen ging wieder rein, nach einem kleinen Blick in seine Richtung. Nein, sie kam in Bikini wieder raus, sie sonnte sich im Ostsee-Sonnenlicht und drehte und räkelte sich ständig. Torben spannte. Er stellte sich vor, wie er zu ihr schlendern würde und sagen: Angebetete, Schatzi oder Augenweide, kannst du dir vorstellen wie ich leide? Ich will dich nicht länger nur mit Blicken ficken… Vielleicht dann noch irgendwas mit bücken. Das stellte er sich vor. Irgendwann begegnete er ihr tatsächlich, bei den Mülleimern. Er sagte gar nichts, er war a) kein Rapper und hatte b) eine Latte c) noch nie eine Freundin. Sie lächelte ihn an und lud ihn ein. Picknick zu zweit? Er nickte, bereit. Am Strand, am gleichen Abend. Adele hieße sie, sagte sie, aus Rosenheim bei München. Sonnenuntergang. Möwen kreischten am seichten Wasser. Adele. Er gab sich Mühe, nicht die ganze Zeit auf ihre Brüste zu starren. Picknick. Vögel flogen Formationen, Fliegenfick auf seinem beharrten Unterschenkel. Schafe blickten leer aufs Meer. Sie sah zu ihm her und küsste ihn. Kommt dieses seltsame Surren vom Elektrozaun zur Weide oder von zirpenden Grillen? fragte er.

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Zum Abschied schenkte Adele ihm feinen Ostsee-Sand in einem Leberwurstglas. Torben schenkte ihr das Bild von einem kleinen Pony, das mit lang ausgestrecktem Pimmel verzweifelt versucht eine große Stute zu besteigen… Er hatte das Motiv sogar mühevoll von einem Foto abgemalt, das er selbst irgendwann fotografierte und das seitdem die Vorderseite seines Tagebuchs zierte. Außerdem hatte Torben ein kleines Gedicht verfasst, das sich aber nur sehr indirekt mit Liebe befasst, sondern eher… schwer zu sagen, hört her:

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Ostsee, olé!
Vorm Kreisverkehr das Meer, hundert Kühe, die Milch fair, dösen, dümpeln, dudeln, nudeln eine Frau mit zwei Pudeln.
Das Meer glitzert kitschig,
Der Kuhdung scheint glitschig.
Hinterm Kreisverkehr das Meer,
Hundert Kühe mehr,
Alle schaun her,
Kauen fällt schwer.
Aus dem Po fällt Dung, verquer,
Bunten Fliegen zum Verzehr, sehr ordinär.
Der Kreisverkehr.

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Trotzdem entwickelte sich ein Briefwechsel, eine Brieffreundschaft, eine Briefbeziehung. Es begann also alles so hoffnungsvoll. Torben besuchte sie, sie ihn nie. Er machte eine Ausbildung beim Vogelpark Walsrode. Sie studierte in Berlin Desing und Mode. Bei den langen Zugfahrten nach Rosenheim bei München bekam er vom vielen Sitzen stets Verdauungsstauungen, besser war da schon Bienenbüttel-Berlin. Torben arbeitete im Bimmelbahn-Betrieb seiner Eltern und raffte sich nicht auf umzuziehen.

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Zwölf Jahre Fernbeziehung. Torben steht auf dem Rückweg in der Hauptstadt und erinnert sich, wie Adele gestern nach vier Gläsern Wein vor den Blumenladen gekotzt hat. Vorher hatte sie ein Gespräch geführt mit ihm, von wegen wie abseits es doch sei bei Bienenbüttel zu wohnen. Und wann er sich denn endlich einmal bewegen würde. Er hatte die Tür aufgeschlossen, im Treppenhaus roch es oft als hätte jemand Kohl gekocht oder gefurzt. Adeles Wohnungstür quietschte beim Öffnen. Die Mücke am Türrahmen hatte er letztes Jahr totgeschlagen, und da klebte sie noch und verweste. Die Wohnungstür quietschte beim Schließen. Er hatte gedacht, es sei seine Aufgabe sie zu ölen. Adele hatte flennen müssen, Torben denken: Sie will sich echt trennen. Die beste Streitvermeidungsstrategie war immer auf Klo zu gehen. Torben bekam schnell Durchfall und Pickel am Hintern, das brannte. Vor dem Klo lag ein Musikmagazin, von dessen Cover aus ihm Aha beim Kacken zusah.

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Torben steht in Berlin am Bahnhof. Auf von-Adele-verlassen folgt bei der Bahn Anschluss verpassen. Der nächste, der späte Zug geht in runden drei Stunden. Es ist furchtbar schwül. Es wird Regen geben. Torben geht die Treppen runter. Ein Mann mit Mops kommt ihm entgegen die Treppen rauf und sagt zu dem heftig hechelnden Hund mit offenstehendem Mund: „Man kann sich da auch echt reinsteigern!“ Kurz fühlt Torben sich angesprochen, Adele, Adé, Torben setzt sich an die Spree. Schwül mit dunklen Wolken. Die Enten recken die Hälse, sehen aus, als würden sie auf einen Zug warten. An die Trennung zu denken tat weh. Plötzlich Gewitter, Blitz, Donner. Torben flüchtet vor dem Platzregen in einen Supermarkt. An einem Biergarten vorbei, wo auf den Tischen die geleerten Krüge inzwischen mit Regen aufgefüllt sind. Dann nimmt er mit einem Sixpack Bier und einer Flasche Korn den Zug zurück und versucht versessen nach all den Jahren Adeles Nummer vergessen.

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Splitstories

  • Der erfolglose Bimmelbahnfahrer Torben will die Modedesignstudentin Adele zurückerobern!

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