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... trat einen Schritt zurück. Unter dem Profil meiner Stiefelsohlen erklang das charakteristische Knirschen von Schnee. Ein weiches, sattes Geräusch, dass zu der Kälte gehörte, wie die kurzen Tage oder der Schnee.
Ja, der Schnee. Hier, nahe der Scheune bot er noch eine perfekte weiße Fläche, unberührt und wunderschön, doch schon vier Schritte weiter, nahe der Einfahrt, verfärbten erst graue und dann braune Spritzer die Perfektion, zerquetschten sie, zwangen ihr die Abdrücke von Reifen, Schuhen und Pfoten auf. Zuletzt bleib von dem Schnee nur noch eine wässrige Mischung aus Schlamm und Splitt, die ...

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mich aber jetzt nicht interessierte. Ich wollte das Schöne festhalten. Die Reinheit des Schnees auf dem Sattel meines Rades. Daraus ein Kunstwerk zu machen, sollte doch wohl möglich sein.
Also holte ich mir eine kleine Schippe aus dem Schuppen und stach mir einen Schneeblock aus. Mit kalten, aber hoch motivierten Fingern modellierte ich drauflos.
Mit dem vierten Schneeblock gelang mir endlich der große Wurf. Ein Ebenbild meines Schnee verhangenen Sattels; ein Kunstwerk; von mir geschaffen.
Zurück aus dem Haus, baute ich meine Kamera auf das Stativ und knipste, was der Film hergab.
Am Abend saß ich vor meinem Monitor und bewunderte das Hintergrundbild, welches mich für alle Zeiten an diesen schönen Tag erinnern sollte, als meine Frau herein kam und nörgelte:

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"Was soll den jetzt das schon wieder? Hast du die Türe zu dem Schuppen offen stehen lassen?"
Weniger von der Frage, als von ihrer - Nadines, um meiner Frau einen Namen zu geben - Anwesenheit überrascht, nickte ich.
"Na, das hast du ja toll gemacht. Draußen schneit es wie verrückt und der ganze Schnee weht in unseren Schuppen. Dann weißt du ja wohl, was du den Rest des Abends zu tun hast."
Ja, ich wusste es. Trotzdem fiel es mir schwer, ihr diesen Sieg zu überlassen, und so erhob ich mich schweigend aus dem Sessel, beugte mich vor um den Computerbildschirm auszuschalten - keinen Blick durfte sie auf mein Foto werfen - und verließ schleppenden Schrittes das Haus.
Vor der Türe traf mich die Kälte wie eine eisige Wand. Sofort rieselten Schneeflocken in mein Gesicht, schmolzen und befeuchtete die Haut. Das Paradies konnte nicht schöner sein, als diese Nacht: Aller Frieden der Welt versammelte sich auf meinem Grundstück zu einer weissen Decke. Er hatte sich auch über das Sattelebenbild geworfen und diesem ein neues Äußeres gegeben. Nur wer am Nachmittag anwesend gewesen war, erahnte noch den Sattel, nun erinnerte es mehr an ...

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alten Mann, der, in sich versunken, sein Ende erwartete.
Oh nein, mein Freund, so kommst du mir nicht davon, dachte ich wütend. Aus einem Sattel einen alten Mann zu denken und dann den Rest des Abends Trübsal blasen, nur weil Madam einen nervt; das durfte nicht sein.
Wieder voll des Mutes und der daraus sich aufbauenden Energie nahm ich mir den Sattel aus Schnee - in Schönheit gewachsen - ging ins Haus und donnerte ihn Nadine auf ihre frisch gewaschenen, noch feuchten Haare.

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"Schöne Fahrt damit!" knurrte ich, obwohl sie den Witz natürlich nicht verstehen konnte.
Wenn man wirklich einen Menschen zur Weißglut treiben könnte, müsste dann Schnee nicht schmelzen? Statt dessen zerbrach er langsam in Stückchen und bröselte von ihrem Haar herab, in den Kragen und zwang Nadine, den Koipf einzuziehen.
"Du..." Ihre Stimme überschlug sich. "Hast du sie noch alle? Spinnst du?"
Zugegeben - einige Sekunden zuvor war mir die Schnee-in-die-Haare-Idee noch plausibler und begründet vorgekommen - lustig war sie aber auch jetzt noch.
Erst recht, nachdem ich in mein Arbeitszimmer geflüchtet und von innen die Türe abgeschlossen hatte.
"Mach sofort auf, damit ich dich umbringen kann!" kreischte ihre Stimme durch das Holz und die Fäuste pochten wie wild darauf herum.

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"Geh erst einmal raus in den Schnee und kühl dich ab", ordnete ich an, bevor ich auch nur einen Gedanken an die Konsequenzen meines Handelns verschwendete.
"Mein lieber Schwan", lachte ich gequält, "jetzt kommen harte Zeiten auf dich zu."

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Kein Grund Trübsal zu blasen. In der untersten Schublade meines Schreibtisches versteckte sich eine Flasche Hochprozentiges, dass mir schon an so manchem langen Arbeitsabend geholfen hatte. Kaffee zum verdünnen gab es leider nicht - die Kaffeemaschine lag auf der anderen, der falschen Seite der Türe - und so ließ ich mich nur in den schweren Sessel fallen und trank eine Schluck.
Brennende Wärme schoss durch den Mund den Hals herunter.
Das Pochen gegen die Türe hatte aufgehört und ich hätte mich nicht wohler fühlen können. Dan fiel mein Blick auf den Griff des Fensters. Eine 180°-Drehung und es ließ sich nach Innen öffnen. Ein Fluchtweg?

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