Mobile Version Disable hint

Wie die Sterne am Himmel

Wieder ein Tag vorbei. Ein Tag, an dem ich entweder hätte weglaufen oder gleich den Schlussstrich hätte ziehen sollen. Letztendlich hab ich beides nicht getan. Gab mal wieder Stress. Eine 6 in Mathe. Halb so wild. Meinte ich. Aber nein? Meine Möchtegern- Eltern versauten einem ja den Tag. Hausarrest. Mindestens 2 Wochen. Ich soll lernen, damit ich meinen Abschluss schaffe. Ist eh alles für die Katz´. Jetzt sitze ich wie immer auf meinem Bett schreibe. Bin seit langem mal wieder klar im Kopf. Keine krummen Gedanken, keine Versuche. Gab ja auch bis jetzt keinen Anlass. Obwohl ich mich schon echt zusammenreißen musste. Erst letzte Woche hab ich mir mal wieder beide Arme aufgeschnitten. Nicht so tief. Will ja schließlich nicht, dass ich mir die Arme amputieren muss. Aber anscheinend war es doch etwas zu tief. Musste heute wieder den Verband wechseln. Sah echt übel aus. Da muss man halt durch, sag ich mir immer.
Das Ritzen an sich ist nicht das schlimme. Es tut eigentlich gar nicht so weh. Man gewöhnt sich daran. Was schlimm sind die dummen Blicke der anderen. Alle gucken einen an, als hätte man einen schweren Autounfall gehabt. Und diese ewigen Fragen. Woher hast du das? Wann ist das passiert? Meistens sage ich, ich habe mich beim Abtrocknen des Küchenmessers geschnitten. Glaubt mir jeder. Kritisch wird es erst, wenn meine „Ellis“ fragen. Bei denen muss man sich mit einer Ausrede richtig anstrengen. Ein falsches Wort und man ist wieder im Heim. Da will ich nicht mehr hin. Da hab ich schließlich schon die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Und diese Vollschwachmaten dort kann ich noch weniger leiden, als meine Pflegeeltern. Aber das ist ja wieder eine andere Story. Heute ging ja eh schon alles den Bach runter. Morgen bekomm ich in der Schule sicher Stress. Muss einen Zettel unterschreiben lassen, wo draufsteht, dass ich diese Woche 4 Tage gefehlt habe und die Entschuldigung fehlt. Warum regen die sich darüber so auf? Denen geht es doch eh am Arsch vorbei, ob ich den Abschluss schaffe oder nicht. Und morgen kommt auch ein Schulpsychologe. Bin mal gespannt, die der so drauf ist. Ich weiß eh, dass er auf Wunsch unserer Klassenlehrer gekommen ist. In unserer Klasse ist nämlich weder eine Gemeinschaft noch der Respekt gegenüber anderen vorhanden. Außerdem hat unsere Klassenlehrerin letzte Woche eine andere Schülerin beim Ritzen in der Toilette erwischt. Also wenn ICH die gewesen wäre, hätte ich mir die Pulsader vor ihren Augen aufgeschnitten.

Weiß nicht, wie spät es ist. Kann nicht schlafen. Vielleicht so 5 Uhr? Will jetzt wach bleiben. Muss eh bald aufstehen. Und so kann ich wenigstens noch unbemerkt meine Narbe eincremen. Hab gestern einen neuen Ordner im Computer angelegt. Für meine Gedichte. Sind jetzt schon 20 Stück oder so. Ich bin zwar nicht begabt, aber ich möchte, dass alle Leute aus meinem Umkreis bescheid wissen, was in mir abging. ALLE! Deswegen auch dieses Tagebuch. Ich will auch nicht, dass man später meine Leiche findet und jemand deswegen unschuldig ins Gefängnis kommt. Wegen mir. Wenn hier einer schuldig gesprochen werden soll, müssten alle das sein. Meine Eltern dafür, dass sie mich in die Welt gesetzt haben. Meine „Freunde“ dafür, dass sie mich verraten und verlassen haben. Meine Lehrer dafür, dass sie mich nicht beachtet haben. Ja, eigentlich alle, die ich kenne. Sie sind alle naiv. Sie wollen einfach nicht sehen, wie kaputt sie und die Welt wirklich sind. Die haben doch alle keine Ahnung. Denen ist es egal, was ich fühle oder denke. Hauptsache ihnen geht es gut. Egoisten. ALLE! Und was ist mit mir? Ist es euch egal, dass es mir scheiße geht? So wie jetzt? Wollt ihr mich umbringen? Ich hasse euch. So wie ich noch nie jemanden gehasst habe. Ich will nicht mehr. Mein Leben ist im Arsch. Und ihr seid auch Schuld daran. Wenn ich das mit dem Selbstmord durchziehen sollte, wünsche ich euch ein schlechtes Gewissen. Und ich wünsche euch allen Schuldgefühle. So doll, dass ihr wünscht, ich wäre nie von euch gegangen.
"Irgendwann…
werd ich glücklich werden.
wird jemand für mich da sein.
wird jemand mich lieben so wie ich bin.
wird jemand um mich weinen.
wird jemand mich vermissen.
wirst du merken wie wichtig du mir bist.
wirst du merken wie sehr ich dich liebe.
Irgendwann wird das alles passieren.
Dann wenn es zu spät ist."
Es ist 12:45Uhr. Ungewöhnliche Zeit jetzt schon zu Hause zu sein. Aber ich hab mal wieder geschwänzt. Ich hatte heute echt keinen Nerv für Englisch. Und außerdem wollte ich David nicht begegnen. Hab ihn ja heute Morgen schon vor dem Lehrerzimmer gesehen. Er hatte heute mal wieder seine/ meine Lieblingshose an. Diese Schwarze mit dem karierten Gürtel. Und dazu das „Je t´aime“- T-Shirt aus Paris. Ich liebe dieses Outfit an ihm. Das T-Shirt hat er sich mal gekauft, als wir mit ihm und unserem Französischkurs in Paris waren. Heißer Kerl. Und heißes T-Shirt. Ach, einfach alles an ihm ist toll. Seit neuestem hat er sich blonde Strähnen in seine dunklen Haare färben lassen. Wenn er nicht unser Referendar wäre, hätte ich ihn schon längst vernascht. Aber ich weiß, dass er sich nie in so eine wie mich verlieben würde. Das würde niemand. Ich bin halt das hässliche Entlein. Und mit meiner Figur beeindrucke ich noch nicht ein mal einen Leguan. Da würde ich lieber so aussehen wie Bunny. Sie hat mal erzählt, dass sie, wenn sie 16 ist bei Germanys Next Topmodel mitmachen will. Und ehrlich gesagt hätte sie auch das Zeug dazu. Aber sie hat einen fiesen Charakter. Immerhin ist sie nicht umsonst das meist gehasste und gefürchtetste Mädchen der Stadt. Und wenn sie dann noch mit Kingston und Julian aufkreuzt und dir den Weg versperrt, hast du echt Angst um dein Leben. Jeder weiß, dass die drei nicht lange ´rumfackeln. Haben sie bei mir ja auch nicht. An meinem Handgelenk ist heute noch eine große Narbe. Und genau deswegen hasse ich sie. Weil sie das hat und ist, was ich nie sein werde. Und weil sie meine beste Freundin umgebracht hat.
"Donnerstag, der 7. November 2004 Tagesblatt 52. Ausgabe
Prügelei an Gymnasium – 5 Schüler leicht bis schwer verletzt- Eine Tote
Bremen (dth.) Heute Morgen kam es am Mozart- Gymnasium zu einer heftigen Auseinandersetzung mehrer Jugendlicher. Bei dem Übergriff wurden zwei Mädchen mit einem Taschenmesser attackiert, ein weiteres massiv bedroht. Als wenig später zwei Jungen zur Hilfe eilen wollten, kam es zu einer Prügelei. Zwei der drei maskierten Täter traten dabei heftig auf die Helfer ein, sodass diese nur leicht verletzt fliehen konnten. Aus Angst vor erneuten Angriffen holten sie jedoch keine Verstärkung. Als dann eine Mitschülerin der drei Mädchen einschritt, stachen die Täter auf ihr Opfer ein, bis diese bewusstlos zu Boden fiel. Währenddessen gelang es einem anderen Opfer zu entkommen. Die beiden anderen 16- jährigen wurden am Armen und Beinen leicht verletzt, konnten dann aber fliehen. Für die am Boden liegende Mitschülerin Jenni K. kam leider jede Hilfe zu spät. Sie erlag im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Wie die Polizei später herausfand, handelte es sich bei einer der Täter um eine Täterin. Die erst 12 Jahre alte Schülerin und ihre beiden Komplizen wurden mit auf das Revier genommen, mussten aber wenig später auf Grund zu weniger Beweise wieder entlassen werden. Die Tatwaffe, ein Taschenmesser, verschwand nach der Tat unbemerkt. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Mit Ergebnissen wird jedoch nicht so schnell gerechnet. Laut Polizeichef Guido Bloch sind die Zeugenaussagen unglaubwürdig. Für die Eltern von Jenni ist das kein Trost. Sie hoffen, dass der Mörder oder die Mörderin ihrer Tochter bald gefasst wird und eine angemessene Strafe bekommt. Bloch gab sich zuversichtlich. „Das, was geschehen ist, können wir zwar nicht rückgängig machen. Aber ich bin sicher, wenn wir erstmal den Täter haben, werden sich viele offene Fragen klären.“

Ja, so war das damals. Und was ist passiert? Nichts. Jennis Mörderin wurde nie gefasst. Und uns wurde nicht geglaubt. Wir waren doch dabei. Alle 5 haben wir sie gesehen. Bunny, Julian und Kingston. Und auch Jenni hat sie erkannt. Ich weiß es. Ich hab es an ihren Augen gesehen. Sie wollte es nicht wahrhaben. Dass ausgerechnet Bunny so etwas tun würde. Und als sie dann zustach. Oh Gott, ich erinnere mich noch genau an Jennis Augen. So groß. So braun. Und voller Fragen. Warum? Warum du? Warum ich? Das werde ich nie vergessen. Mittlerweile sind auch schon wieder über 3 Jahre vergangen. Bald sind es schon 4. Und es kommt mir vor, als wäre es gestern.
Seit dem Jenni weg war, wurde ich immer schlechter in der Schule. Ich wurde oft krank und nachts plagten mich Alpträume. Ich träumte jede Nacht das gleiche. Immer wieder die gleiche Situation. Wie sie auf uns zukamen, uns anmachten, der Streit, die Prügelei, einfach alles. Bis ins kleinste Detail. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wohin Bunny das Messer hatte verschwinden lassen. Aber vergeblich. Ich wusste es einfach nicht mehr. Oder ich wollte es nicht wissen. Damals, 2 Tage vor dem Massaker, war David an unsere Schule gekommen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Mich hatte es genauso erwischt, wie Jenni. Und kurz davor waren wir auf dem Weg zur Sporthalle. Haben uns über ihn unterhalten. Ich glaub, die ganze Schule findet ihn toll. Zum mindestens die Mädels. Aber Jenni und ich waren uns sicher, dass er nur etwas für uns empfinden könnte. Wir haben ihn geliebt.
Und jetzt bin ich allein. Ich habe niemanden mehr. Keine Freunde, keine Eltern, keine Vertrauten. Manchmal frage ich mich, wozu ich überhaupt auf der Welt bin. Alles sinnlos. Meine beste Freundin tot, meine große Liebe uninteressiert.
"Lieber David,
seit langem warte ich darauf, dir diesen Brief zu schreiben. Ich habe mich nie getraut. Und jetzt mach ich es trotzdem, weil meine Gefühle mich dazu übermahnen. Was ich dir in diesem Brief sagen will, wird nicht nur mein sondern vielleicht auch dein Leben auf den Kopf stellen. Denn ich hab mich unsterblich in dich verliebt. Seit ich dich das erste Mal gesehen hab. Ich weiß, dass wir uns nicht lieben dürften und ich weiß auch, dass du meine Gefühle nicht erwiderst. Aber ich muss es dir einfach sagen. Vielleicht hältst du mich für albern oder naiv, aber ich hoffe, dass wir etwas mehr sein können als nur Schülerin und Referendar. Sicher hast du schon gemerkt, dass dir viele Mädchen hinterher rennen. Nicht nur ich. Und vielleicht kommt es mir auch nur so vor, aber ich habe das Gefühl, zwischen uns beiden stimmt einfach alles. Wenn es dir auch so geht, hoffe ich, du antwortest mir. Wenn nicht, verbrenn diesen Brief bitte und vergiss alles, was ich dir gesagt habe. Ich will nicht, dass sich durch diesen Brief ALLES verändert. Aber meine Gefühle zu dir sind echt und ich möchte sie dir gegenüber nicht mehr verheimlichen. Ich liebe dich, David. Über alles. Hoffe auf deine baldige Antwort, deine Marie"
Seit einer Woche liegt dieser Brief schon auf meinem Nachttisch. Damit er nicht wegkommt, habe ich ihn nun in mein Tagebuch gelegt. Ich traue meinen Pflegeeltern nicht. Und das habe ich auch noch nie. Und wenn dieser Brief in falsche Hände gerät, bin ich geliefert. Nicht nur wegen dem Inhalt. Immerhin könnte David dadurch ernsthafte Probleme bekommen. Ganz zu schweigen von mir. Was würden die Leute wohl denken, wenn ein gestörtes und suizidgefährdetes Mädchen ihrem 5 Jahre älteren Referendar einen Liebesbrief schreiben würde? Und vor allem, was würde er denken?
Ich bin rückfällig geworden. Nach 3 Wochen. Gestern Abend ging es noch, aber heute hab ich es einfach nicht mehr ausgehalten. Der Hausarrest will nicht enden und zu allem Überfluss schaff ich die Abschlussprüfung nicht. Bald sind Sommerferien. Und ich muss nächstes Jahr noch mal ran. Meinen Brief an David hab ich immer noch nicht abgeschickt. Dabei war ich letzte Woche vor seiner Haustür. Hätte den Brief einfach nur einschmeißen müssen. Aber ich war mal wieder zu feige. Wie immer. Und da hab ich mich wieder geritzt. Dieses Mal tiefer. Viel tiefer. Mir war schon schwindelig und ich bin für kurze Zeit ohnmächtig gewesen, aber zum Glück waren meine „Eltern“ außer Haus. Und als ich zu mir gekommen war, wurde mir so schlecht, dass ich mich eine Stunde auf der Toilette einschloss. Dieses viele Blut raubt mir manchmal den letzten Nerv. Ich dachte, ich sterbe. Aber das wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Gleich muss ich zum Arzt. Meine „Eltern“ glauben, ich hätte mir einen offenen Bruch zugezogen. Wie naiv kann man nur sein. Wenn ich ihnen sagen würde, ich wäre auf einer Gurke ausgerutscht, würden sie es mir sicher auch glauben. Aber mir soll es recht sein. Meine Hand tut höllisch weh. Ich kann sie kaum bewegen. Und ich hab mir noch keine Gedanken darüber gemacht, was ich dem Arzt erzähle. Die Wahrheit? Auf keinen Fall! Der würde mich für geisteskrank halten und mich sofort in irgendeine Therapie für Suchtkranke stopfen. Und da würden meine Versuche sicher kläglich scheitern. Und diese nervigen Psychospielchen. Das ich nicht lache. Als ob denen ihr dummes Gelabere mir auch nur ein bisschen weiterhelfen würde? Oder als ob es jemanden interessiert? Denen geht es nur um ´s Geld. Und deswegen weiß ich auch, was ich dem Arzt erzähle. Eine kleine „Wahrheit“ über meine Pflegeeltern wird sie sicher interessieren. Denn für Misshandlungen interessiert sich doch jeder irgendwie, oder?

Ich sitze im Wartezimmer. Hab mein Tagebuch mitgenommen, weil die Sprechstundenhilfe gesagt hat, ich solle mir was zur Beschäftigung mitbringen. Es könnte ziemlich lange dauern. Das merke ich. Eine geschlagene Stunde sitze ich hier schon und kein Schwein hat mich ausrufen lassen, oder das Wartezimmer betreten. Aber das ist auch gut so. So kann ich wenigstens noch ein paar Mal meinen Text durchgehen. Ich habe alles genau durchkalkuliert. Müsste klappen. Meine „Eltern“ konnte ich davon überzeugen, dass sie erstmal zu Hause bleiben. Obwohl sie sich ja „so große Sorgen machen“. Aber mir soll es Recht sein. Soll es ihnen doch Leid tun. Hinterher werden sie es noch mehr bereuen. Ich hab zu Hause schon eine Zwiebel vorbereitet. Sicherheitshalber. Falls ich es ohne nicht hinbekomme. Jetzt sehe ich die Schatten einer Sprechstundenhilfe vor der Tür stehen. Hinterher werd ich alles nachtragen. Jetzt kommt sie rein. „Marie? Du bist dran“ Ich folge ihr in Richtung Behandlungszimmer. Showtime, Baby!
- Hallo Marie.
> Hallo, Herr Doktor.
- Na, was hast du denn für ein Anliegen? Deine Eltern meinten, du wärst die Treppe herunter gestürzt und hättest dir den Arm verletzt. Stimmt das?
> Ja.. Das stimmt.
- Na dann zeig mir mal deinen Arm.
(Ich löse den Verband und beobachte seine Reaktion.)
- Oh, das sieht aber Böse aus. Bist du sicher, dass das von einem Treppensturz ist?
> Was sollte es sonst sein, Herr Doktor?
- Das frage ich dich, Marie.
> Ich verstehe nicht, was sie von mir wollen. Ich bin die Holztreppe herunter gestürzt und hab mir den Arm am Boden aufgeschlagen. Meine Eltern meinten, es könnte ein offener Bruch sein.
- Nein, Marie. Das können wir definitiv ausschließen. Aber schau mal hier. Das sind doch eindeutig Kratzer und dazu noch ziemlich tiefe. Haben sich dein Eltern die Wunde mal angeschaut?
> Nein, Herr Doktor. Ich habe sofort einen Verband drum gemacht, weil es so stark geblutet hat.
- Ach so. Nun denn. Hast du vielleicht auch eine andere Idee, woher du dieses haben könntest?
> Nein.. Eigentlich nicht.
- Marie. Ich bin eine Vertrauensperson und mir kannst du alles anvertrauen. Ich werde auch nicht sofort zu deinen Eltern rennen und es ihnen brühwarm erzählen. Wie du weißt unterliege ich der ärztlichen Schweigepflicht. Also, wenn du mir etwas sagen willst, gebe ich dir jetzt gern Gelegenheit.
(Ich überlege kurz, ob ich sofort rausplatzen soll, oder ob ich ihn zappeln lasse. Ich entscheide mich für das Erste)
> Herr Doktor. Also.. Meine Eltern. Sie.. Sie sagen ich soll es keinem erzählen, aber sie. . Also. . .
- Beruhig dich, Marie. Alles wird gut. Erzähl mir einfach, was du auf dem Herzen hast.
> Sie schlagen mich.
- Wer? Deine Eltern?
> Ja. Mein Vater hat es anfangs nur getan, wenn ich mal zu spät zu Hause war oder ich böse war, aber nun macht er es immer.
- Was meinst du mit „immer“?
> Jeden Tag.
- Und deine Mutter?
> Sie macht es nicht. Aber sie stiftet ihn oft dazu an und verpetzt mich, wenn ich mal wieder etwas getan habe. Ich habe Angst vor ihnen. Wahnsinnige Angst.
(Ich schluchze. Wische mir durch die Augen. Die Zwiebel in meinem Jackenärmel erledigt den Rest.)
- Ist gut, Marie. Ich bin für dich da. Hast du schon mal mit jemandem darüber geredet? Vielleicht mit Freunden?
> Ich habe keine Freunde. Und wenn hätten meine Eltern sie vergrault.
(Wieder weine und schluchze ich. In seinen Augen sehe ich Mitleid und Entsetzen. Dann kommt mein großer Auftritt. Ich springe vom Stuhl auf und haste in Richtung Tür.)
- Es tut mir leid, aber ich kann nicht weiterreden. Vergessen sie einfach, was ich gesagt habe. Wenn sie wüssten, dass ich es ihnen erzählt habe, wäre ich schon so gut wie tot.
(Gerade, als ich am Empfangstresen ankomme und die Schritte des Doktors schon hinter mir hören kann, kommt das Finale. Mit einem Mal sacke ich leblos zu Boden. Ich muss mir Mühe geben, um nicht Aua zu schreien oder mir den Kopf im Fall an irgendetwas zu stoßen. Nun liege ich auf den kalten Fliesen. Ich spüre, wie viele Hände mich anfassen, höre meinen Namen und lautes Gerede. Alles läuft nach Plan. Minuten vergehen. Dann endlich höre ich die Sirenen des Rettungswagens. Es hat geklappt. Ich spüre, wie ich auf die Trage gelegt werde und in den Rettungswagen geschoben werde. Spüre die Nadel in meinem Arm und höre die verschiedensten Stimmen um mich herum. Auf dem Weg ins Krankenhaus nehme ich kaum noch etwas wahr, denn nun bin ich kurz davor einzuschlafen.
Schlafen war schon immer meine Stärke. Einschlummern und alles vergessen. Einfach so. Träumen vom Schlaraffenland oder einem süßen Märchenprinzen, der einen aus aller Gefahr rettet. Manchmal träume ich auch von einem Sternenhimmel. Ich liege auf einer Wiese, im Arm von David. Wir küssen uns und er sagt mir, dass er mich über alles liebt. Und dann erzählt er mir, was die Sterne für ihn bedeuten. Jeder Stern, sagt er, steht für ein glückliches Jahr Liebe und Freude zwischen uns beiden. Ich liebe Sterne. Sie stehen für Unendlichkeit und Klarheit. So, wie unsere Liebe auch sein soll. Und sie soll nicht eher aufhören, ehe alle Sterne erloschen sind. Aber leider ist Liebe nicht kaufbar. Und leider war das alles nur ein Traum.
Mittlerweile sind wir im Krankenhaus angekommen. Ich liege im Untersuchungsraum. Langsam komme ich zu mir. Zeit, hier etwas nachzuhelfen.)
Mittlerweile ist es schon Nachmittag. Außer einer Krankenschwester hatte ich noch keinen Besuch. Der Arzt sollte gleich kommen. Ob die wohl schon mit meinen „Eltern“ gesprochen haben? Nach meiner Show wäre das ja wohl schon lange überflüssig. Im Untersuchungsraum haben ich einen auf „Benommen“ gemacht, damit die es mir auch abkaufen. Und es scheint geklappt zu haben. An mir ist echt eine Schauspielerin verloren gegangen. Immerhin hatte ich nicht umsonst drei Jahre Schauspielunterricht. Schade, dass es nie für die große Bühne gereicht hat. Aber im Heim war ich dafür bekannt. Für große Emotionen und schnelle Gefühlsschwankungen.
Aber zum Glück ist meine Zeit im Heim vorbei. Wenn die mich von meinen Pflegeeltern wegholen hau ich aus dem Heim ab und suche mir eine kleine Wohnung in Berlin. Dann werde ich Schauspielerin in einem Musical und werde mit einem gut aussehenden Geschäftsmann verheiratet sein und Zwillinge haben. Eine kleine glückliche Familie am Rande von Berlin in einer großen Villa mit Garten. Da, wo die Sorgen nicht hinkommen und niemand einem sagt, was man tun muss oder denken soll. Perfekt halt.

Ich bin wieder alleine. Der Arzt war da und hat mir gesagt, dass die Polizei eingeschaltet wurde. Vorerst werden meine „Eltern“ in Gewahrsam genommen und ich muss wieder in das Heim. Morgen werde ich vorerst entlassen. Die Aussagen bei der Polizei sind gemacht und die Ärzte meinten, ich sollte mich erst einmal erholen. Mir wurde sogar eine Psychologin aufgedrückt, bei der ich mich melden soll, wenn ich jemanden zum Reden brauche oder es mir mal nicht so gut geht. Als ob ich da hin gehen würde. Da kann ich ja gleich in die Klapse. Genau so schlimm. Und was soll David dann erst von mir denken? Würde es ihn überhaupt interessieren? Würde er es überhaupt erfahren? Weiß er meinen Namen überhaupt noch? So viele Fragen und nur eine Antwort: Nein.
Das Heimauto steht schon unten vor dem Krankenhaus. Die kleine Reisetasche liegt fertig gepackt auf meinem Bett. Laut der Krankenschwester seien meine Sachen aus dem Haus meiner Pflegeeltern ins Heim transportiert worden. Ein Problem weniger. Jetzt muss ich nur noch das Tagebuch sicher verstauen. Und morgen darf ich mir dann wieder mit 5 weiteren Nervensägen ein Zimmer teilen. Oh, wie sehr ich das vermisst habe.
Die Tage vergehen wie im Flug. Morgens aufstehen, dann frühstücken. Ab in die Schule bis Nachmittags um 16 Uhr. Abendbrot gibt es um 19:30 Uhr. Danach Zeit zur freien Verfügung. Um spätestens 21 Uhr ist Zapfenstreich. Was für ein spannender Tag. Da bleibt nicht viel Zeit für Freunde oder Familie. Obwohl das bei mir ja eh egal ist. Pro Tag habe ich ungefähr 5 Stunden für mich allein zum Verplanen. In den letzten zwei Wochen, in denen ich wieder im Heim bin, hab ich die meiste Zeit mit lernen verbracht. Es sind zwar mittlerweile Sommerferien, aber das ist mir relativ egal. Nächstes Schuljahr wird schon hart genug. Die meisten Kinder aus dem Heim verbringen die freie Zeit bei Freunden oder anderen Verwandten. Ein Vorteil, denn so kann ich mir jetzt morgens immer die Dusche schnappen, bei der das Wasser am längsten läuft. Außerdem möchte ich, dass niemand meine nackten Arme sieht. Die größten Narben sind zwar zugeheilt, aber an manchen Stellen sieht man immer diesen hellen Schimmer, da wo die Haut durch die Narben dünner ist. Mein Hautarzt hat mir angeboten, dass ich mir über die Narben etwas Haut setzen lassen kann, damit man die Narben nicht mehr sieht, aber ich wollte das nicht. Die Narben zählen zu meiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie symbolisieren meine Gefühle und das, was ich durchgemacht habe. Und das wird mir niemand wegnehmen. Und ich bin mir sicher, dass zu meiner „Sammlung“ noch einige dazu kommen werden.

Oktober. Langsam wird es kalt und auch die Blätter haben ihre Farben schon gewechselt. Ich sitze unter einer grauen, dunklen Brücke auf einer Decke zusammen mit einem dreckigen Hund, den ich nicht kenne. In einer fremden Stadt. Ein Wunder, dass mein Tagebuch es bis hierher überlebt hat. Immerhin musste ich schon viele Sachen verkaufen, weil ich sonst nicht hätte überleben können. Auf der Straße ist das Leben härter als ich dachte.
Wie ich da gelandet bin? Anfang September bin ich aus dem Heim abgehauen. Von da an musste ich mich alleine durchschlagen. Nun stecke ich seit drei Wochen in Paderborn fest. Ohne Geld und ohne Essen. Beinahe wäre ich der Polizei vorgestern ins Netz gegangen. Anscheinend hat mich eine Kassiererin wieder erkannt und die Bullen alarmiert.
Wieso wieder erkannt? Ganz einfach. Weil nach dem ich verschwunden bin eine riesige Suchaktion von der Polizei gestartet wurde. Im Fernsehen, im Radio und sogar im Internet. Überall waren Bilder von mir. Das war fast so wie die große Suchaktion um die kleine Maddie, die beim Urlaub mit ihren Eltern an der Algarveküste verschwand. Da wurde ja auch so ein Theater gemacht. Und nun geht es halt um mich. Komisches Gefühl überall sein Gesicht in den Medien zu sehen. Und dann dieses ewige Versteckspiel. Eine Perücke konnte ich mir nicht leisten, also hab ich mir meine langen Haare abgeschnitten und gefärbt. Not macht halt erfinderisch. Und so kam es dann, dass ich hier unter der Brücke gelandet bin. Aus Angst geschnappt zu werden.
Ein 15-jähriges Mädchen unter einer Brücke mitten im Regen ohne Essen und Trinken bei knappen 10° C auf einer Decke. Neben ihr liegt ein dreckiger Hund. Er schläft. Sie nicht. Sie hat Angst. Um ihre Zukunft. Und um ihr Leben.
So ungefähr kann man sich das vorstellen. Im Moment sehne ich mich nur nach einem warmen Bett und etwas zum essen. Nachts wird es manchmal schon an die null Grad kalt. Unglaublich für einen Oktobermonat. Aber daran sieht man, dass die Zeiten auch schon mal besser waren.
Ich habe schon oft ernsthaft darüber nachgedacht wieder ins Heim zurück zu gehen. Aber was soll ich da? Mein Leben gleicht einem Abfalleimer. Nutzlos und unbedeutend. Und außerdem gibt es noch einen anderen Grund, warum ich nicht zurück kann. Weil mich nämlich alle dort für eine Diebin halten. Daran ist nur Alicia schuld. Immerhin hat sie den ganzen Mist über mich auch in die Welt gesetzt. Sie hat das alles inszeniert. Das ist nicht vergleichbar mit einer normalen Show oder dem, was ich damals mit dem Arzt abgezogen hab. Das war mehr. Damit hat sie mir gezeigt, wie sehr sie mich hasst. Ich konnte sie zwar auch noch nie ausstehen, aber so etwas würde ich nie tun.
Aber um das alles festzuhalten hier noch einmal die ganze Geschichte von Anfang an:
Es war der 1. September. Das Wetter war scheiße. Draußen waren überall dunkle Wolken zu sehen. Und als ich sie sah, wusste ich sofort, dass sich ein großer Sturm anbahnte. Nicht nur draußen. Lustlos kratzte ich die letzten Reste aus meinem Joghurtbecher heraus. Der Appetit war mir vergangen. Seit Wochen schlechtes Wetter. Und dann war da ja noch Alicia. Sie machte mir das Leben zur Hölle, wo sie nur konnte.
Erst drei Tage zuvor hatte sie sich bei der Heimleitung beschwert, weil ich angeblich die Dusche verstopft hätte und ihr eine Cola anstatt des Duschwassers über die eingeschäumten Haare gegossen hätte. So etwas Lächerliches. Die Betreuerin meinte, wir sollten das alleine klären. Dumme Kuh. Und so etwas nennt sich dann Erziehungsberechtigter. Das ich nicht lache. Jedenfalls klären wir es nun auf unsere Weise. Und die heißt: Psychoterror. Wer aufgibt verliert. So ist das Leben!
Mittlerweile hatte ich den leeren Joghurtbecher in den Mülleimer geworfen und war aufgestanden. Doch als ich meinen Namen hörte, ließ ich mich vor Schreck wieder auf den Stuhl fallen. Das war eindeutig die Heimleiterin gewesen. Und sie hatte meinen Namen geschrieen. Normalerweise schrie sie nur, wenn sie Mäuse sah oder mal wieder ihr faltiges Gesicht im Spiegel betrachtete. Aber mein Name steht weder für ein Faltengesicht noch für ein behaartes Tier. Wie auch immer. Jedenfalls marschierte ich eisernen Schrittes in Richtung ihrer Büros. In die Höhle der Löwin…
Was dann geschah, konnte ich nicht fassen. Alicia saß mit verweintem Gesicht an einem Schreibtisch, während unsere Leiterin sie krampfhaft versuchte zu beruhigen. Anscheinend war etwas Schlimmes vorgefallen. Und es hatte mit mir zutun. Die Leiterin wies mich auf einen Stuhl und sah mich dann mit strengen Augen an. Mir war unwohl. Was hatte ich denn jetzt schon wieder getan, ohne davon zu wissen? Bei Alicia konnte man nie erahnen, was einem dieses Mal angehängt wurde. Und ich machte mich auf alles gefasst. Dann begann die Heimleiterin plötzlich.
„Marie, weißt du, warum Alicia so traurig ist?“ Kopfschütteln meinerseits. „Sie hat gesagt, dass ihr euch wieder gestritten habt. Aber das ist nicht der Grund, weshalb sie so geweint hat. Sie meinte, dass du gesagt hast, dass sie es bitter bereuen wird. Stimmt das?“ Keine Reaktion. „Marie, ist das wahr?“ Ich nickte. Ich hatte es doch nur aus Spaß gesagt. Das würde ich doch nie ernsthaft meinen. Aber anscheinend kam es anders rüber. „Und stimmt es auch, dass Alicia dann das Zimmer verlassen hat und du alleine warst?“ Wieder nicke ich. Was bleibt mir auch anderes übrig. Widerstand zwecklos. „Marie, Alicia ist ihre Halskette gestohlen worden. Die mit dem Engelanhänger. Die kennst du doch, oder?“ Ein leises ja. „Es war ein Geschenk ihrer verstorbenen Großmutter. Und du weißt, wie sehr sie diese Kette geliebt hat. Was ich damit sagen will, ist, dass Alicia meinte, sie hätte in deiner Hosentasche etwas Goldenes gesehen. Und sie ist sich ziemlich sicher, dass es ihre Kette war.“ Dieses Miststück. Ich war platt. Was sollte ich mit der Halskette ihrer toten Oma? Um sie weinen zu sehen, würde ich doch nicht klauen. Das geht auch viel einfacher. Aber ich saß jetzt in der Falle. Und ich ahnte, was kommen würde.
Die Heimleitung würde meine Hose durchsuchen und zufällig auf die dort reingeschmuggelte Halskette stoßen. Ich ließ es geschehen. Zehn Minuten später hatte Alicia ihre Halskette wieder. Und ihre Traurigkeit wandelte sich um in Triumph. Ich konnte an ihren Blicken sehen, wie sie es genoss. Und als sie hoch erhobenen Hauptes den Raum verlies sagt sie etwas, das mich fast zum platzen brachte. „Schön, Marie, dass du einsichtig geworden bist.“ Dann war ich allein mit der Heimleiterin. Nach einer langen Standpauke und einer saftigen Strafe wurde ich entlassen. Den Rest des Tages verbrachte ich auf meinem Zimmer, aus Angst Alicia zu begegnen. Und am nächsten Morgen beim Frühstück war ich das Thema Nummer eins. Von da an war ich unten durch. Jeder kannte mich nur noch unter dem Namen „Langfinger“. Und von da an wusste ich auch, dass ich ausbrechen wollte. ich war mir hundertprozentig sicher. Ich setzte mir einem Termin: Morgen Nacht.
Tatsächlich hatte ich bis zum nächsten Tag alles geklärt. Für Proviant und Bettzeug war gesorgt. Jetzt brauchte ich nur noch Glück, um es bis über den Zaun zu schaffen, ohne geschnappt zu werden. Wenn ich das geschafft hätte, ständen mir alle Wege offen. Und Geld genug hatte ich auch gespart. Vielleicht für eine Bahnfahrt oder ein Taxi. Es konnte losgehen.
2. September, 22:35 Uhr:
Langsam waren alle Pflegerinnen und Pfleger ins Bett gekrochen. Ich schnappte meine Sachen und verlies das Zimmer durchs Fenster. Zum Glück hatten meine Zimmerkumpane einschließlich Alicia einen guten und tiefen Schlaf. Als ich draußen festen Halt unter den Füßen hatte, lehnte ich von außen das Fenster an. Dann kam der schwierige Teil. Ich stand vor dem hohen Maschendrahtzaun. Und bekam das große Zittern. Würde ich es schaffen? Was wenn ja? Was wenn nicht? Ich musste es einfach versuchen…
Ich schaffte es. „Drüben“ angekommen bestellte ich mir ein Taxi zum Bahnhof. Von dort machte ich mich auf nach Hannover. Mein Geld reichte massig. Und ich war glücklich. Mir gefiel das Leben als freies Kind. Ich war gespannt, was Hannover zu bieten hatte. Aber jetzt galt es erstmal ein Dach über dem Kopf für die angebrochene Nacht zu finden. Um nicht im kalten Bahnhof übernachten zu müssen, nistete ich mich in einer Pension ein. Der Wirt wunderte sich zwar über einen so jungen Gast um diese Uhrzeit, sagte aber nichts. Und am nächsten Tag würde ich Hannover erkunden. Doch es kam anders. Das Wetter war beschissen und zu allem Überfluss war mein Handyakku alle. So dumm wie ich war, merkte ich, dass ich den Akku im Heim vergessen hatte. So ein Scheiß! Aber wenigstens hatte ich noch Geld. Ich wusste, dass dies zwar nur begrenzt halten würde. Und bis es alle wäre, hätte ich mir sicher schon einen Job oder etwas Ähnliches gesucht. Den Tag über bummelte ich durch sie Stadt. Und langsam merkte ich, wie sich mein Proviantrucksack leerte. Damit hatte ich nicht so schnell gerechnet. Also suchte ich wieder nach einer Bleibe für die Nacht. Ich fand sie im Zug. Ich hatte mich am Bahnhof in irgendeinen Zug gelegt, der mich weit weg bringen würde. Wohin auch immer. Ich war zu faul, zu fragen, wo er hinfährt, geschweige denn ein Ticket zu besorgen. Dann bin ich einfach weggedöst.
Und als ich aufwachte war ich in Paderborn.

So kann´s gehen. Nach zwei schlaflosen Nächten fand ich dann Unterschlupf unter dieser kleinen Brücke. Sie ist zwar nicht das beste Zuhause, aber ich war froh, etwas über dem Kopf zu haben. Egal, was.
Der Köter ist mir vorhin zugelaufen. Hat sich wohl verirrt. Aber was soll ´s. Hab ich wenigstens jemanden, mit dem ich reden kann. Obwohl er mir keine große Hilfe ist. Ich erzähle ihm alles.

Muss wieder an David denken. Und an die Schule. Hätte ich mich vorher abmelden sollen? Irgendein Grund wäre mir schon eingefallen. Aber ich verwerfe den Gedanken lieber wieder.
Langsam kommt kalter Wind auf. Es wird Abend. Normalerweise würde ich jetzt auf meinem Bett liegen, mit einer warmen Tasse Kakao in der Hand und fernsehen. Aber da ich weder ein Bett noch Kakao habe muss ich mich wohl mit einer kalten Decke begnügen. Mein Entschluss steht fest. Morgen früh, wenn ich aufwache, gehe ich sofort zum Bahnhof. Ich muss hier einfach weg.

Ich liege in einem Bett. Über mir ist eine warme, braune Decke ausgebreitet. Ich halte eine Tasse warmen Tee in der Hand. Das Licht, das durchs Fenster scheint, ist matt. Es ist Vollmond. In dem Zimmer ist es warm. Mir gegenüber liegt ein junges Mädchen im Bett. Sie schläft. Es ist Alicia. Im dunklen Raum kann ich ihre langen Haare sehen. Sie liegen sorgfältig gekämmt über ihrer Schulter. Aus der anderen Ecke des Raumes höre ich ein grunzen und schnarchen. Ja, das ist es, was ich vermisst habe. Ich bin wieder zuhause. Ich bin wieder im Heim.
Ich wache auf. Ich bin immer noch so müde, dass ich meine Augen anfangs nicht aufbekomme. Der Traum ist vorbei. Schade drum. Ich öffne die Augen mit Mühe und Not und schaue mich um. Ich erinnere mich. Ich bin wieder zuhause. Der Traum ist war. Ich bin wieder im Heim.
Heute Morgen beim Frühstück waren alle anscheinend ziemlich erleichtert wieder mein Gesicht zu sehen. Die Polizei war auch schon da. Die sind davon ausgegangen, dass ich wegen meinen „Eltern“ abgehauen bin. Lustig. Als ob ich abhauen würde, nur weil ich „jahrelang misshandelt wurde“. Aber ich hab sie in dem Glauben gelassen. Ein besserer Grund wäre mir eh nicht eingefallen. Also, was soll ´s?!
Ich habe noch nie ein Frühstück so genossen, wie jetzt. Das Müsli ist mir förmlich auf der Zunge zergangen. Ganz zu schweigen vom Duscherlebnis. Ein Hoch auf den Erfinder der Dusche: Hip-hip. Hurra. Hip-hip. Hurra. Hip-hip. Ach, ich hab keine Lust mehr.

Heute, an meinem ersten Tag seit langem wieder in Bremen, hab ich beschlossen ins Schwimmbad zu gehen. Es ist zwar schon Herbst, aber etwas Sport schadet ja nie. Außerdem hab ich festgestellt, dass ich während meines „Ausflugs“ fast 10 Kilo abgenommen habe. Da, wo mal eine dicke Fettwampe war, ist mittlerweile nur noch ein kleiner Bauch. Und den bekomm ich auch noch weg. Ich bin stolz auf mich. Als ich mich heute Morgen auf die Waage gestellt habe und dann in den Spiegel sah, hätte ich beinahe gedacht, ich wäre das nicht. Aber na ja. Wenn alles gut läuft im Schwimmbad, kaufe ich mir noch heute einen Bikini.

Es war einfach der Hammer. Ich habe mich lange nicht mehr so gut gefühlt. Das Schwimmbad war zwar ziemlich voll und ich hab viele Bekannte getroffen, aber trotzdem… Sie haben mich alle gelobt, wie toll ich doch abgenommen hätte. Dann war mein „Ausflug“ wenigstens doch zu etwas gut. Und im Schwimmbad haben mit sehr viele Leute angesprochen. Ob ich die aus den Nachrichten wäre. Geile Sache, wenn jeder einen kennt. Und so hab ich dann auch Ben kennen gelernt. Ich stand auf dem Fünfer und hab mich erst nicht getraut. Und dann kam er und meinte, wenn ich mich nicht trauen würde, könnten wir zusammen runterspringen. Süßer Kerl. Sah hammergut aus. Fast so gut wie David. Wenn nicht sogar noch besser. Erst hab ich kaum einen Ton rausbekommen, aber dann hab ich einfach seine Hand geschnappt und wir sind gesprungen. Er hat mich gefragt, ob ich die Marie aus dem Radio wäre. Und als ich ja gesagt hab, wollte er meine ganze Geschichte hören. Aber ich hab sie ihm nicht erzählt. Und so kam es, dass wir fast zwei Stunden zusammen auf seinem Handtuch lagen und redeten. Über Gott und die Welt. Kaum zu glauben, aber er wohnt gar nicht weit weg. Und er ist Single! Und als ich aufstand, um zu gehen, hat er mich gefragt. Nach meiner Handynummer! Er hat mich gefragt! Mir blieb echt das Herz stehen. Aber ich war gerade noch so fähig sie ihm zu geben. Er wollte mich morgen mal anrufen. Nur so, wenn er Langeweile hat oder so. Mich hat noch nie ein Junge nach meiner Handynummer gefragt. Anscheinend macht eine Diät sehr viel aus bei Jungs. Ich sollte weiter versuchen abzunehmen. Vielleicht hab ich dann auch irgendwann Chancen bei David(?!)…
Wochenende! Und endlich mal wieder Zeit zu schreiben. In den letzten fünf Wochen hat sich sehr viel getan. Ben und ich sind mittlerweile unzertrennlich. Jeden Tag sind wir irgendwo anders anzutreffen. Vor einer Woche zum Beispiel waren wir in der Stadt zum Weihnachtsgeschenke einkaufen. Da ich eh nur zwei Stück brauchte, ging alles sehr flott. Ben hat keins geholt. Er meinte ich bräuchte nicht dabei sein, wenn er mein Geschenk holt. Also bekomm ich auch etwas von ihm! Ich freu mich schon auf übermorgen. Denn dann ist Heilig Abend. Da sieht man mal, wie schnell ein Jahr zu Ende ist. Draußen liegt eine meterdicke Schneeschicht. Morgen wollen ich und Ben Schlitten fahren. Dazu sind wir zwar schon etwas zu alt, aber mit Ben wird es sicher super lustig.
Seit dem ich mit ihm befreundet bin, habe ich endlich jemanden. Mit dem ich über alles reden kann und der für mich da ist. Er erzählt mir alles und ich ihm auch. Abgesehen von meinen Narben. Denn das ist wiederum meine Sache. Aber ich habe das Gefühl, da ist mehr zwischen uns beiden. Mehr als nur Freundschaft und Vertrauen. Aber ich habe Angst einen Fehler zu machen. Ich will ihn nicht verlieren. Nicht meinen einzigen Freund!

Das Wetter gestern war super. Wir haben erst eine Burg gebaut, um sie dann später in viele kleine Kugeln zu zerlegen. Dann gab es eine lange Schneeballschlacht, wobei ich eh immer gewonnen habe. Aber ich glaube, er hat mich mit Absicht gewinnen lassen.
Heute ist Heilig Abend. Im Vorraum des Heimes ist ein riesiger Tannenbaum aufgebaut. Der ist mindestens 2 Meter hoch. Und darunter sind ganz viele kleine Geschenke gelegt worden. Aber das sind leider nur leere Kartons. Hier im Heim bekommen wir nämlich nichts geschenkt. Außer von einigen Verwandten oder Freunden bekommt hier von niemandem etwas. Aber ich habe ja Ben!
Gestern habe ich noch eine gute Nachricht per Post erhalten. Meine Klassenlehrerin hat mir frohe Weihnachten gewünscht. Erst hab ich mich gewundert, was das soll, aber dann hab ich weiter gelesen. Mein Notendurchschnitt hätte sich so stark gebessert, dass sie darüber nachdenke, mich zum Halbjahr doch noch eine Klasse höher zu versetzen. Damit hätte ich nur ein halbes Jahr wiederholt. Genaueres könnte sie mir aber erst nach Weihnachten sagen, wenn sie darüber mit den Fachlehrern diskutiert hätte.
Ist das nicht super? Mit meinem Leben geht es wieder bergauf. Ich hätte nie daran gedacht, so gut in der Schule zu sein und vor allen Dingen so glücklich. Ich habe den besten Freund, den ich mir hätte wünschen können und noch dazu ein gutes Halbjahreszeugnis. Außerdem hatte ich seit fast 2 Monaten keinen Rückfall wegen den Ritzen. Das ist auch gut so. Ich wüsste nicht, was Ben machen würde, wenn er wüsste, dass ich mich ritze…

Das Mädchen im Garten
Kalter Wind weht durch ihr Haar. Sie spürt ihn kaum. Sie hält ihn in ihrer Hand. Den Brief. Tränen fließen über ihre Wangen.
Kalte, klare Tränen. So, wie sie es damals auch getan hat. Bei ihm.
Den Freitod. Warum hatte er das getan? Sie verstand es nicht. Er wurde von allen geliebt. Er wusste es nur nicht. Ein Mädchenschwarm. Sie liebte und bewunderte ihn dafür. Und dann das. Warum gerade er? Warum nicht sie? Sie hasste sich dafür. Wieder fielen Tränen. Aber sie würde ihn wiedersehen. Schon bald. Sie wusste es. Und sie freute sich. Die letzte Träne fiel zu Boden. Dann ein kurzes Schluchzen. Der Schuss. Der leblose Körper fiel in sich zusammen. Bis bald, mein Süßer! Ihre letzten Worte.

Scheiße, Scheiße, Scheiße! Gestern ist es passiert.
Es hat mittlerweile schon fast wieder frühlingshafte Temperaturen. Aber das ist wahrscheinlich nur eine Phase. Immerhin ist erst Mitte Januar. Aber was soll ´s. Ich war gestern bei Ben zum Poolbaden eingeladen. Seine Eltern haben eine riesige Villa (so eine, von der man als Kind immer träumt mit großem Garten und Pool und Fitnessraum) und ich sollte zu einer Poolparty kommen. Allerdings wären da nur Ben und ich. Ich hatte mir vorgenommen ihn ein wenig auszuhorchen. Denn seit ein paar Tagen konnte ich nicht mehr schlafen. Und wenn ich es konnte, träumte ich von ihm. Von Ben und mir, wie wir Hand in Hand an einem langen Sandstrand spazieren gehen. Und dann wurde mir auch klar, warum ich immer von ihm träumte. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Er ist mein bester (und einziger) Freund. Ich darf mich nicht in ihn verlieben. Aber zu spät. Denn in letzter Zeit muss ich immer öfter an ihn denken. Wenn er bei mir ist, vergesse ich alles um mich herum. Auch David. Es ist einfach schön in seinen Armen zu liegen. Seine sanfte Stimme zuhören und zu wissen, dass er immer für einen da ist. Seit Ben habe ich mich sehr verändert. Im Positiven.
Ja, ich habe mich in ihn verliebt. Unsterblich sogar. Mehr, als ich David je geliebt habe. Und dann das…
Ben hat meine Narben entdeckt. Ich habe seine starrenden Blicke erst nicht gemerkt, aber dann war es zu spät. Er kam auf mich zu und nahm meine Arme. Während er endlos lange die hellen Schimmer der Schnittwunden betrachtete, herrschte Totenstille. Dann brach er das Schweigen und sah mir dabei tief in die Augen. „Sag, dass das nicht wahr ist.“ Ich konnte seinem Blick nicht lange standhalten. Ich war geschockt. Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit? Bei meiner Vergangenheit würde er es keine fünf Minuten mehr bei mir aushalten. „Warum, Marie? Warum tust du dir das an? Doch nicht etwa wegen mir, oder?... Hab ich irgendetwas falsch gemacht?“ Nein, um Himmels Willen. Hatte er nicht. Nur ich! Ich hatte mein ganzes Leben falsch begonnen. In dem Moment habe ich mir seit langem mal wieder gewünscht, nicht auf der Welt zu sein. Oder gleich aus einem Alptraum aufzuwachen.
„Ben, lass es mich dir erklären. Aber es ist nicht so einfach wie du denkst. Ich…“. „Von wann sind die?“ Erst verstand ich seine Frage nicht, aber dann kam die Erkenntnis. „Ich weiß es nicht mehr. Es ist so lange her. Weißt du, dass…“ Wieder platzte er mir ins Wort. „Schon so lange her? Die Dinger sehen verdammt frisch aus. Marie, ich dachte wir wären Freunde. Beste Freunde. Warum tust du uns da an? Vertraust du mir nicht? Kannst du nicht mit mir darüber reden? Oh Gott, Marie…“ Ich war sprachlos.
Okay, die Narben waren wirklich frisch, aber hätte ich gestern Abend ahnen können, dass er mich heute Morgen mit so einem Vorschlag überfällt? Nein. Ich hatte mir wie schon so oft vorgenommen mich nicht zu ritzen. Dieses ganze Wehtun bringt doch eh nicht, hab ich mir versucht einzureden. Aber es ging nicht. Ich musste es einfach tun. Es ist wie eine Sucht für mich.
Ben sah mich immer noch fassungslos an. „Willst du es mir nicht sagen oder kannst du es mir nicht sagen?“ Ich wusste es selbst nicht. „Ben, es ist nicht so leicht, wie du denkst. Wenn ich es sage, ändert sich sehr vieles. Auch zwischen uns“ Ich versuchte sachlich zu klingen und mich zu fassen. Bekomm jetzt bloß keinen Heulkrampf, habe ich mir immer wieder selbst zugeredet. „Wenn das so ist, ist es wohl besser, wir sehen uns eine Weile nicht mehr, damit du nachdenken kannst. Aber wenn du es mir sagen willst, höre ich dir gerne zu. Ich finde es echt schade, dass du mir so wenig vertraust. Wozu hat man Freunde? Meld dich, wenn du reden willst…“ Dann hat er sich einfach umgedreht und wollte gehen. „Ach und Marie.“ Er hielt für einen Augenblick inne. „Bitte hör auf dir so etwas anzutun. Mir zuliebe. Ich kann echt nicht mit ansehen, wie du dich so fertig machst.“ Dann ist er gegangen.

Eine Woche vorbei. Ich sterbe noch. Mittlerweile liegt das kleine Taschenmesser schon jeden Abend im Badezimmer bereit. Er hat sich nicht gemeldet. Ich habe schon viele Male auf sein Handy angerufen, auch Zuhause oder bei seinem Kumpel. Nichts. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich war auch schon bei ihm zuhause, aber da war nie einer. Und jetzt heißt es wieder warten. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig.
Ich habe mir etwas überlegt. Ben hat Recht. So geht es doch nicht weiter mit mir. Ich habe deshalb beschlossen in eine Therapie zu gehen. Nur für ihn und mich. Damit wir wieder normal mit einander reden können. Und ich habe mir vorgenommen ihm alles zu erzählen. Über mich und meine Vergangenheit. Einfach alles. Damit er mich versteht. Und dann können wir endlich wieder befreundet sein. Oder auch etwas mehr.

Es ist wie ein stechender Schmerz.
Dieses Gefühl der ewigen Angst.
Es holt dich ein.
Dann, wenn du es nicht erwartest.
Es umringt dich und wartet nur darauf, sich in dir mehren zu können.
Dieses Gefühl ist unsterblich.
Es frisst dich von innen auf.
Langsam und schmerzvoll.
Nackte Angst.
Um dich, um dein Leben und um alles, was dir je lieb war.
Dieses Gefühl kann alles kaputt machen.
Zerstören.
In einer Sekunde.
Niemand sieht es.
Aber es ist da.
Und wenn es einmal fertig ist, kommt es wieder.
Und wieder und wieder.
Bis nichts mehr da ist, was man zerstören könnte.
Bis du tot bist!

Ich drehe durch. Kann nicht mehr schlafen nachts. Ich mache mir Sorgen. Große Sorgen. Um Ben. Gestern habe ich ihn gesehen. Mit seiner Mutter beim einkaufen. Er hat nichts gesagt, mich nicht angeguckt. Aber ich weiß, dass er mich gesehen hat. Was soll das? Mag er mich nicht mehr? Ich brauche ihn doch. Warum meldet er sich nicht?
Draußen ist es mittlerweile noch wärmer geworden. Das ist schlecht, denn so platzen die Narben ewig wieder auf. Frische Narben. Ohne Ben bin ich nichts. Ich liebe ihn. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es weitergehen soll. Ich muss einfach mit ihm reden. Und zwar möglichst bald. Sonst drehe ich noch durch. Und wie das ausgehen kann, weiß ich ja zu Genüge.

Alles aus. Ich hab ihn verloren. Endgültig! Vorhin hab ich Ben in der Stadt getroffen. Und er war nicht allein. Neben ihm stand ein junges Mädchen. Ungefähr mein Alter, aber ich kannte sie nicht. Und offensichtlich war es seine Freundin, denn sie standen dort Händchen haltend. Und als er sie küsste sind bei mir schließlich die Sicherungen durchgebrannt.
Ich bin auf ihn zugerannt und hab ihn angeschrieen. Was das sollte, warum er sich nicht melden würde und so. Ich war einfach fertig mit den Nerven. Und dann ist es passiert. Als er mir gesagt hat, er wüsste nicht, wie er mit der neuen Situation umgehen sollte und er mich erst einmal in Ruhe lassen wollte, hab ich ihm eine geknallt. Mitten ins Gesicht. Seine Freundin wollte mich zurückschlagen, aber Ben hat sie noch aufgehalten. Und dann bin ich einfach nur weggerannt. Immer weiter, bis ich nicht mehr konnte. Hauptsache weg von denen. Dann ist mir klar geworden, was das für mich bedeutete. Ich war wieder allein. Ben hatte ich verloren. Wahrscheinlich für immer! Und nun?
Als ich ziemlich spät hier im Heim ankam, war ich fix und fertig. Und dann hab ich mich im Bad eingeschlossen, wo ich jetzt immer noch sitze. Umgeben von einer riesigen Blutlache und Wasser. Und das Blut ist nicht irgendein Blut. Es ist mein Blut!

Vergeben
Du bist glücklich.
Ich sehe es in deinen Augen.
Sie leuchten.
So schön und hell wie nie zu vor.
Ich sehe dich.
Sehe euch.
Arm in Arm.
Eng umschlungen.
Ich frage mich, ob ich dir das gleiche hätte bieten können wie sie.
Die Geborgenheit.
Diese Lebensfreude.
Dieses unendliche Glück.
Wärst du mit mir genau so glücklich gewesen?

Nach endlos langen Gesprächen, die ich mit der Heimleitung hatte, habe ich mich doch noch zu einer Therapie entschlossen. Sie beginnt zwar erst im März, aber wenigstens ein Anfang ist getan.
Heute ist der 14. Februar. Und was ist das bekanntlich für ein Tag? Richtig. Valentinstag. Ich habe niemanden. Den Tag heute werde ich wahrscheinlich in der Stadt verbringen. Ich hab mir vorgenommen mal bei David vorbeizugehen. Ben ist Vergangenheit. Ich habe mich in den letzten Wochen schon genug wegen ihm verkrochen und geweint. Tag und Nacht. Das hat er eigentlich auch gar nicht verdient. Meine Gefühle und meine Liebe. Dieses Arschgesicht kann mich mal. Ich hasse ihn! Und seine Freundin auch!
David war heute nicht in der Schule. Vielleicht ist er ja krank. Hoffentlich nicht. Ohne ihn ist es total langweilig in Englisch. Also muss ich unbedingt nachsehen wie es ihm geht. Ein Hausbesuch hat bis jetzt noch niemandem geschadet. Und wenn ich schon einmal da bin, kann ich auch gleich einen Strauß Blumen und den Brief mitnehmen.

ICH HAB ES GETAN! Ich kann es immer noch nicht glauben, aber es ist so. Als ich vorhin bei David zuhause war, habe ich den Brief eingeschmissen. Er war nicht da und ich habe erst eine Stunde vor seiner Tür gesessen. Aber dann hatte ich es satt und hab den Brief einfach durch den Türschlitz gesteckt. Mir ist aber erst jetzt klar geworden, was das heißt. David wird in nicht absehbarer Zeit erfahren, dass ich ihn über alles liebe. Komisch, dass ich diese Worte nach Ben noch einmal sage. Aber David ist anders als Ben. Reifer. Seit einer Stunde versuche ich nun schon mich abzulenken. Ich bin wahnsinnig aufgeregt. Was wird er sagen? Wird er mir antworten? Auf dem Stundenplan steht Englisch in der sechsten Stunde. Das heißt, ich muss mich wohl noch etwas gedulden. Ich wette, ich kann die ganze Nacht wieder nicht schlafen. Das nervt! Ich will endlich Gewissheit. Was wird aus uns?
Jetzt ist es 22 Uhr. Nachtruhe! Ich habe das Fenster aufgelassen. Anfangs hat Alicia rumgemeckert, aber dann ist sie endlich eingeschlafen und ich hatte meine Ruhe. Gut so! Meine Nacht wird hoffentlich nicht mehr so lange dauern. Und morgen in der sechsten Stunde wird ich dann endlich bescheid wissen. Hoffentlich!

Warum muss mir das immer passieren? Ich weiß jetzt, warum David nicht zuhause war. Ganz einfach! Er ist auf einer Fortbildung für Referendare. Deshalb war er die letzten Tage auch nicht da. Und ich dumme Gans schmeiß auch noch den Brief ein! Zwei Wochen dauert der ganze Kram. Na da kann ich ja lange auf Antwort warten! Was soll ich denn jetzt nur machen? Verrotten und darauf warten, dass er ihn liest? Oder den Brief so schnell wie möglich zu meinem und seinem Vorteil entfernen? Ich weiß zwar nicht, wie, aber ich entscheide mich für letzteres.

Scheiße, was mach ich denn hier? Eine geschlagene halbe Stunde sitze ich nun auf diesem Stromkasten und beobachte Davids Haus. Es ist ein Einfamilienhaus, aber ich gehe mal nicht davon aus, dass er darin alleine wohnt. Sicher mit seinen Eltern. Oder mit seiner…. Ach, ich will gar nicht daran denken. Think positive, Marie! Was ich vorhabe? Keine Ahnung! Den Brief irgendwie daraus bekommen. Zu Not auch mit Gewalt! Gar nicht auszudenken, was passiert, wenn er ihn liest. Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, er würde mich auch irgendwann mal lieben können. So dumm kann nur ich sein! Scheiße, das Licht vor der Tür geht an. Schwer zu erkennen, ob wer rauskommt. Ich hätte mich wohl etwas näher platzieren sollen. Aber das ist mir egal. Jetzt ist meine Chance. Ich muss dahin und diesen Brief vernichten! Jetzt!

Ich bin wieder heile im Heim angekommen. Pünktlich zum Abendbrot. Aber ohne den Brief! Nachdem ich festgestellt hatte, dass er dort mit seinen Eltern wohnt und der Brief nicht mehr unter dem Türschlitz liegt, bin ich abgehauen. Mittlerweile ist mir egal, ob er es erfährt oder nicht. Meine Gefühle bleiben. Ich werde warten. Bis er in fast zwei Wochen wiederkommt. Einen Einbruch wäre es mir nicht wert gewesen. Außerdem will ich meinen 16. Geburtstag in einer Woche nicht auf einer Polizeiwache verbringen.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Heute ist mein Geburtstag, der 23. Februar. Das Wetter heute ist einfach nur miserabel. Es regnet schon den ganzen Vormittag und von den anderen hat mir auch kaum einer gratuliert. Aber was erwartet man auch von denen. Nichts Gutes jedenfalls.
Heute Morgen ist ein Brief angekommen, von meinem Vater. Das der noch schreiben kann, grenzt an ein Weltwunder. Bei seinen 2,6 Promille, die der sich jeden tag ansäuft. Aber vielleicht bringt ihm diese Suchtklinik ja doch was, in der er jetzt gelandet ist. Es wäre zwar fast undenkbar, aber wie heißt es so schön: Menschen ändern sich. Ich hoffe, bei ihm ist das der Fall. Und vielleicht gibt es auch so eine Möglichkeit, die Vergangenheit einfach zu vergessen.

Liebe Marie,
ich wünsch dir alles Gute zu deinem Geburtstag. Hier in der Klinik hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Und in dieser Zeit ist mir klar geworden, dass das so nicht weitergeht. Seit einem Monat bin ich nun schon clean. Keine Drogen mehr, kein Alkohol mehr. Und das rauchen habe ich auch aufgegeben. Und weißt du auch warum? Wegen dir. Ich weiß, dass ich in den letzten Jahrzehnten alles falsch gemacht habe, was ein Vater falsch machen kann und ich weiß auch, dass ich dich damit sehr verletzt habe, nicht nur psychisch. Aber ich wünsche mir nichts mehr, als dass ich dich endlich mal wieder in Arme schließen kann und dir erklären kann, was passiert ist. Morgen ist Mums Todestag. Ich habe mit meinen Therapeuten gesprochen und die haben ihr okay gegeben. Ich darf morgen für einen Tag raus hier und sie besuchen. Wenn du also morgen Zeit und Lust hast, können wir uns treffen. Und dann werde ich dir alles erzählen, was du schon immer wissen wolltest. Über dich, über Mum und über mich. Und auch über den Unfall. Immerhin ist es schon 14 Jahre her und du hast ein recht zu erfahren, was wirklich geschehen ist, damals. Ich würde mich freuen, wenn du dich meldest. Die Vorwahl der Klinik ist im Telefonbuch und wenn du die 590384 dahinter wählst, wirst du automatisch auf mein Zimmer umgeleitet. Bitte gib mir eine Chance, Marie. Ich möchte die vergangenen Jahre hinter mir lassen und wieder neu anfangen. Mit dir! Meld dich, mein Engel. Dein dich immer liebender Vater.

Mein Engel! So hatte er mich lange nicht mehr genannt. Um genau zu sein 14 Jahre. Damals, als Mum starb und als er dann anfing zu trinken. Wenn ich gewusst hätte, wie das enden würde, ich hätte mich damals vor den nächsten Lkw geschmissen.
"Es war ein Donnerstag im Juli. Draußen war es ungewöhnlich heiß und ich hatte ein kurzes, blaues Sommerkleid an. Weil es so warm war, hatte Mum mir erlaubt heute Abend etwas länger im Garten bleiben zu dürfen. Sie selbst musste zu einer Veranstaltung, zu der sie von einer Freundin eingeladen worden war. Paps hatte sich etwas hingelegt. Ihm ging es in den letzten Tagen nicht so gut. Wahrscheinlich eine Sommergrippe oder so. Aber bei so einem Wetter ging es ihm nie wirklich gut. Da war er immer leicht anfällig. Für seine schlimmen fünf Minuten. Das war das Einzigste, was mir an ihm schon immer Angst gemacht hat. Ich war zwar erst drei Jahre alt, aber nicht dumm. Und ich wusste sofort: Wenn Paps seine fünf Minuten hatte, blieb nur die Flucht. Dann schloss ich mich meistens im Badezimmer ein und wartete bis alles vorbei war. Danach herrschte meistens Totenstille. Paps zog sich zurück und ich kümmerte mich oft um Mum. Sie kam mit blauen Flecken oder Platzwunden davon. Das ging immer so. Mindestens einmal die Woche. Ich war ein schlaues Kind. Ich schwieg. Und deswegen hat Paps mir nie etwas angetan. Ich war sein Engel. Bis an diesem heißen Julitag.
Mum war gerade aus dem Haus. Ich saß in meinem kleinen Zelt, selbst gebastelt aus Decken und Kissen unter einem Apfelbaum.
Meine kleine Festung. Während ich da saß und spielte, hörte ich drinnen ein lautes Krachen und das Bersten von Glas. Es war wieder soweit.
Rasch versuchte ich noch schnell meine Barbies zusammen zukramen. Aber zu spät. Paps stand vor meinem Zelt. Er sah wütend aus wie immer. „Marie, komm da raus!“ Ich wusste, dass ich gehorchen musste. Also krabbelte ich heraus. Paps hatte einen hochroten Kopf und seine Adern traten hervor. In seiner rechten Hand hielt er einen Ledergürtel, in der linken einen Fleischklopfer. Ich hatte wahnsinnige Angst. Immerhin war ich allein. Und unser Haus lag weit draußen auf dem Lande. Weit und breit keine Nachbarschaft!
Paps riss mir eine meiner Barbiepuppen aus der Hand. Dann nahm er den Fleischklopfer und haute damit solange auf den Kopf der Puppe, bis dieser zu Boden fiel. „Das passiert mit dir auch, wenn du nicht tust, was ich dir sage.“ Mit hasserfüllten Augen zerrte er mich am Arm ins Haus. Drinnen angekommen kauerte ich mich in eine Ecke. Ich hatte Angst. So war Paps noch nie mit mir umgegangen. Was war los? Warum waren seine Anfälle auf ein Mal so ernst?
Paps schrie: „Marie, wenn du nicht in fünf Sekunden neben mir stehst, passiert ein Unglück.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. In null Komma nichts stand ich im Schlafzimmer. Paps hatte mir den Rücken zugekehrt. Das bedeutete er bereitete sich mental auf etwas vor. Was das war, erfuhr man immer kurze zeit später. „Zieh dich aus.“ Ich tat, was er sagte. Er wies mich auf das Bett. Ich sollte mich hinlegen. Als ich lag, fesselte er mir die Arme und Beine jeweils an einem Bettende mit einer dicken Kordel. Ich schrie auf vor Schmerz, aber Paps brachte mich mit einem Hieb des Ledergürtels zum schweigen. Dann stopfte er mir ein Dutzend Taschentücher in den Mund und kniete sich neben mich auf das Bett. Er streichelte mir durchs Gesicht. In einem leisen Flüsterton vernahm ich seine Stimme in meinem Ohr. „Marie, mein Engel. Es tut mir leid, dass ich dir das antue, aber ich kann nicht anders. Ich liebe dich. Bitte verzeih mir!“ Mit diesen Worten richtete er sich auf.
Was dann geschah kann und will ich nicht wirklich aufschreiben. Ich weiß nur noch, dass er mich schlug, mich ohrfeigte und mich mehrmals vergewaltigte. Ich wollte immer schreien, aber ich brachte keinen Mucks heraus. Ich war gelähmt. Vor Angst und vor Hass."
Nach diesem Vorfall war Paps für mich gestorben. Ich mied ihn wo ich konnte. Aber ich erzählte niemandem etwas. Eine Woche später wollte er mit Mum einen Ausflug machen. In einen tolles Restaurant. Ich hatte mich auf diesen Tag lange vorbereitet. Denn an diesem Tag wollte ich von Zuhause abhauen.
Als die beiden aus dem Haus waren, schnappte ich mir meinen Teddybären und lief nach draußen. Ganz weit weg. Hauptsache raus hier. Aber als ich an der Landstraße entlangging, wurde mir klar, dass ich nicht weit kommen würde. Immerhin war es schon 17 Uhr und bald würde es dunkel werden. Also ging ich zurück. Und das war auch gut so.
Zwei Stunden später waren Mum und Paps immer noch nicht wieder da. Ich machte mir Sorgen. Hatte er wieder einen Anfall bekommen?
Kurz darauf klingelte es an der Haustür. „Marie, Schätzchen, mach doch mal bitte auf.“ Es war unsere Nachbarin. Und die Polizei. Was die gewollt hatte, würde ich erst Jahre später erfahren.
Meine Eltern hatten an diesem Abend einen Autounfall. Dabei starb meine Mum. Paps war nur leicht verletzt.
Angeblich sei er aus noch ungeklärten Gründen auf die Gegenfahrbahn geraten und mit einem Lkw zusammengestoßen. Unerklärliche Gründe? Ich kannte nur einen Grund!

Ob ich ihm verzeihen kann? Niemals! Er hat mein Leben zerstört. Und wegen ihm ist Mum tot. Das werde ich ihm NIE verzeihen. Auch nicht morgen an ihrem Todestag. Soll er doch in der Hölle verschmoren oder an seinem Alkohol und den Drogen verrecken!

Es ist Mums Todestag. Und irgendwie passt meine Stimmung zu diesem Anlass.
Ich knie gerade vor Mums Grab. Ein komische Gefühl hier zu sein. Ich war seit Jahren nicht mehr hier. Weil hier immer ein Platz der Erinnerungen für mich war. Ich hatte Angst davor. Angst vor meiner Vergangenheit. Hier an diesem Platz habe ich mich öfters geritzt. Denn hier ist es still. Und so spürst du den Schmerz noch intensiver, wenn er durch deinen Körper jagt.
Sogar heute habe ich ein Messer mit. Für den Fall der Fälle.
Ich betrachte Mums Grabstein. An der oberen Kante sitzt ein kleiner Engel. Den wollte Paps dort hinhaben. Als ein Zeichen.
Ich spüre einen leichten Luftzug.
Hier auf dem Friedhof ist es oft kalt und windig. Und der Wind bringt die Erinnerungen mit. Die Guten und die Schlechten. Sie laufen wie ein Film vor deinem inneren Auge ab. Und du kannst sie nicht mehr aufhalten!
Der erste Tag im Kindergarten. Schnitt.
Das allererste Fahrrad. Schnitt.
Erste Fahrstunde mit Paps. Schnitt.
Die Einschulung. Schnitt.
Der Brief an David. Schnitt.
Der erste verlorene Milchzahn. Schnitt.
Das schlechte Abschlusszeugnis. Schnitt.
Mum und Paps Hochzeit. Schnitt.
Ben. Schnitt.
Die erste Eins in Mathe. Schnitt.
Das Heim. Schnitt.
Die er- und durchlebte Zeit bei Pflegeeltern. Schnitt.
Paps Anfälle. Schnitt.
Eine glückliche Familie. Schnitt.
Bis auf das letzte eilt alles an meinem inneren Auge vorbei. Ich erinnere mich auch an viele Dinge, die Paps einmal zu mir gesagt hat. Und alle enthielten sie den Ratschlag: „Engelchen, mach was aus deinem Leben Sonst endest du so wie ich.“ Ich muss an David denken und daran, wie ich ihn das erste Mal sah. Jenni und ich standen damals vor dem Lehrerzimmer, als unsere Klassenlehrerin ihn uns vorgestellt hat. Und die Stunde darauf hatten wir ihn in Englisch. Er ist ein echt klasse Lehrer. Und dann ist da ja noch der Brief bei ihm zuhause. Ich hoffe, die Fortbildung dauert länger als geplant. Denn sonst bekommt er den Brief übermorgen.
Ich denke an Ben und seine Freundin? Ob die beiden wohl glücklich sind zusammen? Ich wünsche es ihnen. Und nur weil ich ein beschissenes Leben führe, müssen die beiden nicht darunter leiden…
Ich fühle mich mies. Fange an zu weinen. Alles ist so unwirklich. Bin ich das, die hier sitzt? Wo ist Mum? Ich brauche sie! JETZT! Ich habe Angst. Ich will nicht mehr. Und ich kann auch nicht mehr. Ich glaube es ist an der Zeit zu gehen. Das Leben hat mich schon genug gequält. Ich hole das Messer aus meiner Tasche.
"Lieber Paps,wenn du das hier liest, bin ich vielleicht schon tot. Ich war mal wieder bei Mum auf dem Friedhof. Und dann kam alles hoch. Bitte verzeih mir, wenn ich dir Vorwürfe gemacht habe, wofür auch immer. Du hast keine Schuld. Auch nicht an Mums Tod. Ich hoffe, du kommst ohne uns klar, auch mit dem Entzug. Ich glaube fest daran, dass du es schaffst. Ich wünsche es dir. Bitte mach dir auch keine Vorwürfe wegen meinem Tod. Weder du noch irgendwer anderes ist schuld. Es war allein meine Entscheidung und sie war richtig. Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Die Erinnerungen, das Heim, die Pflegefamilien. Weißt du, als ich damals aus dem Heim abgehauen bin, ist mir klar geworden, wie das ist, wenn man nichts hat. Und mit nichts meine ich wirklich nichts! Ich war völlig auf mich allein gestellt. Und als ich dann wieder im Heim war, waren alle so anders. Ich glaube, auch Alicia hat darüber nachgedacht. Aber egal. Ich wünsche dir alles erdenklich Gute. Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann, aber ich versuche es. Immerhin bist du mein Vater. Meinen letzten Wunsch findest du auf der Rückseite des Blattes. Das ist mein komplettes Testament. Bitte tu mir einen Gefallen und gib die beiliegenden Briefe an die entsprechenden Namen auf dem Umschlag. Danke, Paps. Ich liebe dich. Deine Marie "
Schrecklicher Fund auf dem Bremener Stadtfriedhof
Spaziergänger findet Leiche seiner Tochter
Bremen (fm.) Heute Nachmittag machte ein Spaziergänger im Bremener Stadtfriedhof eine grausige Entdeckung. Neben einem Grab lag die Leiche eines Mädchens. Wie sich herausstellte, war dies seine eigene Tochter. Nach Angaben der Kripo hatte das Mädchen Selbstmord begangen. Einzelheiten waren bis Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Die 16 Jährige lag neben dem Grab ihrer Mutter. Laut Aussage wollte der Vater am Todestag seiner Frau einen Blick auf das Grab werfen, als er seine Tochter fand. Er musste in das Krankenhaus gebracht werden. Der Anblick seiner Tochter hatte ihn so sehr aufgeregt, dass er einen Herzinfarkt erlitt. Für die Kripo steht jedoch fest, dass das junge Mädchen den Tod freiwillig gesucht hatte. Einzelheiten in der morgigen Ausgabe."

Open

Activity: 0%, Views: 1101, Chars: 63732, 162 months ago

+1

Summary

Irgendwo in Bremen: Marie ist jung. Marie ist verliebt. Marie ist einsam.
Ihr Tagebuch ist ihr einziger Halt. Denn die Einsamkeit macht aus ihr einen Menschen, der sie nicht sein will.
Mit der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit geht sie ihren Weg. Nicht immer den richtigen. Aber wenigstens findet sie noch die Kraft überhaupt zu gehen…
Eine Geschichte, in der es das Schicksal nicht gut meint. Über den Gedanken ans Sterben, die Einsamkeit und den letzten Funken Hoffnung nach Erhörung.

Open reading mode

Tags and keywords

Liebe, Schicksal, Selbstverletzung, Tagebuch, Tod

Properties

demanding 1, mysterious 1, romantic 1, touching 1

Authors

namelessnamelessRank 1

Comments

No comments available.