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"Dennelen, Dennelen..."
Reinhards Lippen formten immer wieder ihren Namen. "Woher kenne ich diesen Namen?"
"Gibt's endlich Abendbrot?"
Reinhards Sohn schlendert durch die Tür und giert Richtung Herd.
"Deckst du endlich den Tisch?" erwiederte Reinhard schmunzelnd.
Stöhnend schnappt sich sein Sohn das Geschirr.
"Was murmelst du eigentlich die ganze Zeit vor dich hin? Man könnte meinen du wirst alt."
"Nicht alt, oder vielleicht doch? Ich denke eher ... einsam."
Leise und schwer, "Du hast doch mich?"
"Ich weiß, darüber bin ich sehr glücklich. Würdest du mir auch meine Füße massieren und mit mir in die Oper gehen?"
"Verstehe. Ich kann Mama auch nicht wieder bringen."
Er streicht über die Hände seines Vaters.
"Was ist nun mit deinem Geflüstere?"
"Dennelen. Weißt du woher ich diesen Namen kennen könnte?"
"Na klar." Froh über ein anderes Thema, setzt sich der Sohn rittlings auf den Küchenstuhl.
"Dennelen ist die Tochter des Räuberhauptmann Hannikel. Darüber habe ich meine Seminararbeit geschrieben und dir Wochenlang damit in den Ohren gelgen. Hannikel ist Chef einer Zigeunerbande mit eigenen Regeln und ohne Heimat gewesen."
"Ich erinnere mich. Die grünen Augen könnten dazu passen..."

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Paul legte seinen studentischen Wuschelkopf auf die Seite und sah seinen Vater entsprechend schief an: "Du hast eine Frau kennen gelernt und nicht gleich die Flucht ergriffen? Papa! Papa! Was soll ich nur davon halten?"
"Nicht kennen gelernt, nur ein wenig mit ihr geplaudert", erklärte Reinhard mit gefühlsneutraler Stimme und sah schnell zum Fenster hinaus.
Nicht schnell genug. Paul hatte das Lächeln in seinen Augen gesehen.
"Nett unterhalten, vermute ich mal? Und zudem auch gleich nach dem Namen gefragt. Papa, ich bin begeistert."
"Ja, sie ist nett."
"Und kennen gelernt hast du sie wie und wo?" verlangte Paul nach weiteren Informationen. Schließlich hatte sein Vater seit Mamas Tod vor zwei Jahren keine Frau auch nur angesehen.
"An der Bushaltestelle. Uns beiden war der Bus vor der Nase davongefahren. Na ja, so sind wir eben ins Gespräch gekommen."
"Wie sieht sie denn aus, deine Dennelen? Ist sie so eine richtige Zigeunerin oder trägt sie nur einen Zigeunernamen?" Paul war neugierig, wie sein Vater nun reagieren würde. Als angehender Soziologe war ihm bewusst, welche Probleme seinem Vater entstehen könnten, wenn er tatsächlich mit einer Zigeunerin angebandelt hatte.
Das alles, mein lieber Sohn, geht dich vorerst gar nichts an, dachte Reinhard, und verließ mit: "Ich hab zu tun" eilig die Küche, um in seinem Arbeitszimmer zu verschwinden.
"Holla die Waldfee", murmelte Paul, "Das kann ja heiter werden."

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Diffuses Licht hüllt ihn angenehm beschwichtigend ein. Der Duft von Politur und alten Büchern liegt im Raum. Er mag den Geruch, es richt nach Heimat und zu Hause. Schon als Kind fühlte er sich hier auf dem Schoß seines Vaters am wohlsten.
Was für eine Frau. So unglaublich lebendig und echt. Jung hatte er sich gefühlt und alles schien möglich. Sie hatten zusammen die Welt bereist in ihren, was wäre wenn Geschichten, die sie sich so spontan erzählt hatten. Laß uns nach Tibet reisen, den Dalei lama besuchen und dann nach Australien mit den Aboritschinis malen. Und für einen Moment hatte er geglaubt, es wäre wirklich möglich. Alles stehen und liegen lassen, einfach die nächste Zugverbindung wälen ... und dann, um die Welt!
Alles vorbei. Nur eine Begegnung.
Er hatte nicht genug. Nicht nur eine Begegnung. Außergewöhnlich war es. Plus und Minus. Yin und Yang.
Er mußte sie wiedersehen. Aber wo war sie? Wie konnte er sie wiedersehen? Er konnte jeden Tag zur gleichen Zeit an der Bushalteste
warten und die gleiche Zugverbindung nehmen oder die Straßen nach ihr durchforsten. Ganz egal, nur finden mußte er sie.

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Splitstories

  • Reinhard sucht seine Zigeunerin und findet ein ganzes Volk

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