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Mit dem Bus durch Kuba.

Bereits in den frühen Morgenstunden drängen unzählige müde Kubaner am Bahnhof von Havanna. Sie warten in langen Schlangen, um an Schaltern ihre Fahrkarten zu kaufen, wartenden Züge zu besteigen oder durch das Chaos uralte Busse zu erreichen.
Der Bahnhof „La Coulbre“ trägt den Namen eines französischen Munitionsfrachters, der vor mehr als fünfzig Jahren im Hafen Havannas unter mysteriösen Umständen explodierte. Hier stehen nicht viel mehr als einige spärlich überdachte, aus rohem Beton gegossene Bahnsteige, mit den unübersehbaren Spuren unzähliger Passagieren, die täglich von hier aus nach ganz Kuba aufbrechen. Im Vergleich zum angegliederten Busbahnhof stellt das alte Gemäuer jedoch ein Meisterwerk architektonischer Eleganz dar.
Ausländische Reisende, egal ob Bus oder Bahn nutzend, erhalten ihre Abfertigung zügig, wenn sie von harten Devisen Gebrauch machen. Dollars bevorzugt, US-Imperialismus hin oder her.
Mein Ziel ist die Perle Zentralkubas, Cienfugeos.
Ein einfacher Weg sie zu erreichen wäre ein Ticket für die modernen Zügen – bequem, mit Klimaanlage und quasikolonialem Service, trotz Kommunismus kubanischer Prägung. Aber dafür bin ich nicht hier.
Auf dem ungeteerten Stück Brachland zwischen Bus- und Zugbahnhof werde ich sofort von geschäftstüchtigen Kleinhändlern umlagert, die aus Rücksäcken und Plastiktüten Kekse und Limonade verkaufen, während zu ihren Füßen streunende Hunde an abgenagten Hünchenknochen kauen, die ihnen von anderen Reisenden zugeworfen werden.
Um das idyllische Landleben auf mich wirken zu lassen, entscheide ich mich bewußt gegen die abgeschirmten Luxuszüge mit ihren wohlstandsverzogenen Touristen und nehmen die einfache Verbindung nach Cienfugeos: Mit dem Bus ins Abenteuer!
Aufgeregt stelle ich mich in eine Warteschlange an deren Ende ein gähnender Beamter wartet, der mich mißtrauisch mustert. Mein Spanisch ist gut und besitzt nach einige Tagen in Havanna jenen Schliff, der auf einen Städterin aus gutem Hause hinweist: Wie vieles auf der Insel hängt davon der Preis für die zehnstündige Reise in die „Stadt der hundert Feuer“ ab. Einfache Kubaner zahlen keine fünfzig Cent in einheimischer Währung, Ausländer werden gerne mit mehr als zehn Dollar zur Kasse gebeten. Ich lasse meinen Charme spielen und der Schalterbeamte ist plötzlich hell wach – zwei Dollar, ein Ticket, bitte sehr, danke schön, gute Fahrt.
Als die Sonne langsam aufgeht, schweift mein Blick über die langen Reihen alter Personenzüge, die langsam aus dem Nebel auftauchen. Unter abblätternder Farbe sind rostige Wände zu sehen. Naja, nicht ganz das Niveau der Deutschen Bahn, aber wenigstens dem Ticketpreis angemessen. Dann erreiche ich den Busbahnhof und blickte über die Schulter sehnsüchtig zu den rollenden Rostlauben zurück. Bei kubanischen Bussen werden selbst uralte Zugwagons wieder attraktiv. Die Menschen vor mir in der Schlange reichen dem Schaffner ihre Fahrkarten, ich tue es ihnen gleich und wir besteigen den Bus, ein Relikt aus der „guten, alten Zeit“, als Militärdiktatoren und amerikanische Interventionen sich beinahe jährlich abwechselten.
Die Reise nach Cienfuegos dauert mit dem Auto um die viereinhalb Stunden, aber als abenteuerversessener Reisender ziehe ich eine Busfahrt vor, bei der die tropische Landschaft langsam an mir vorbeizieht: Einmalige Eindrücke von Land und Leute, kein Fenster trennt mich von der unmittelbaren kubanischen Landschaft.
Meine Gastfamilie in Havanna, bei der ich preiswert zur Untermiete wohnte, rümpfte angesichts meines Plans per Bus zu reisen kollektiv die Nase: In ihren Augen nutzt nur die unterste Gesellschaftsschicht dieses Massenverkehrsmittel. Wie bei mir zu Hause gelten sie als unzuverlässig und dreckig, benutzt von ungehobelten Menschen. Zugegeben, bei der DB sind eher Personal und Bahnchef ungehobelt.
Aber im Gegensatz zu den Vorurteilen bestand die Mehrheit der Passagiere aus älteren Ehepaaren, die wie ich zusammen den Ausblick und das Flair der klappernden Monstrosität genossen. Erinnerungen an ihre Jugend, der erste gemeinsame Ausflug mit Picknick und… patriotischer Pflichterfüllung. Kinder für den Commandante.
Kuba besitzt als einzige karibische Nation ein funktionierendes Schienen- und Straßennetz. Vor der Revolution existierte sogar eine Zugfährverbindung zwischen Havanna und Miami die auch Busse transportierte. Seither verfiel die Infrastruktur zusehends, aber die Regierung plant dringend benötigte Renovierungsarbeiten durchzuführen. Wer’s glaubt, Baumaterialien sind teuer, selbst wenn alte DDR-Zementfabriken noch herumstehen. Aber für die Herstellung fehlt es an Energie, seit der Große Bruder mit der Revolution Schluß gemacht hat und keinen kubanischen Zucker mehr importiert.
Im Moment bleibt die Karibikinsel der Traum eines jeden Oldtimerfans: Züge, die in anderen Ländern längst verschrottet oder renoviert in Museen gelandet wären. Busse aus längst vergessenen Zeiten. Autos, die Al Capone sogar noch gefallen hätten.
Zwischen den abfahrenden Züge und Bussen bieten junge Kubaner Snacks und Getränke an. Einige fahren nach entsprechendem Bestechungsgeld für den Schaffner sogar mit, um ihre Kunden im Augen zu behalten. Dröhnend springt der Motor an, der Himmel verdunkelt sich kurz, dann verschwindet der Ruß hinter uns. Die Sitze bestehen aus hartem, abgenutzten Leder, welches aber einen effektiven Stoßdämpfer abgibt. Ein kühlender Fahrtwind zieht durch den Bus, Fenster gibt es keine.
Während wir langsam den Industriegürtel Havannas verlassen, verwandeln sich die Straßen schnell in braune Trampelpfade inmitten grüner Landschaften. Dieses vor Leben strotzende, unberührte Grün prägt die Provinz Matanzas. Über Stunden zieht die pittoreske Vision einer vergangenen Zeit vor meinen Augen vorbei. Menschen winken uns aus ihren einfachen Häusern zu. Ziegen und Pferde grasen friedlich neben der Straße. In der Ferne pfeif ein Zug, seine dunkle Rauchfahne entschwindet gen Horizont.
Im Inneren des Busses ist Rauchen erlaubt und das Aroma guter Zigarren vermischt sich mit billigem Zigarettenqualm und den Ausdünstungen schwitzender Reisegäste, bevor der Fahrtwind das Potpourri glücklicherweise wieder davon weht.
Keuchend stoppt der Bus in einer winzigen Stadt, die aus Lehm- und einfachen Steinhäusern besteht – zwei Stunden Aufenthalt. In dem namenlosen Dorf gibt es weder Kneipen noch Wirtschaften, aber auf den zweiten Blick entdecke ich in einer Ecke eine Imbißbude, die eisgekühlte tuKola führt, das kubanische Pendant zum imperialistischen Cola.
Stunden später erreichen wir gemächlich Cienfuegos. Vom Meer weht eine warme, nach Salz schmeckende Brise herüber, dann fahren wir in das kalkweiße Häusermeer ein. Der Bus hält erschöpft vor einem Bahnhof, in dem sich auch Kühe oder Zigen wohl fühlen würden. Pferdekutschen und Oldtimertaxis warten bereits, um Passagiere ins Stadtzentrum zu transportieren. Ich entscheide mich für den Fußweg, meinen Seesack über der Schulter.
Als die Sonne sich langsam dem Horizont entgegenneigt, miete ich mich in einer auf den Hügel frei stehenden Villa ein, die als Geheimtip unter Spontantouristen gilt. Der Empfangsraum erinnert mich an zu Hause, weiter hinten stehen staubigen Bücherregale und Käfigen mit fröhlich singenden Vögeln. Bei einem Glas eiskaltem Bier lasse ich den Tag Revue passieren: Alles wunderbar, nur mein Hintern protestiert. Nächste Mal vielleicht doch der Zug?
Vom Balkon meines Zimmers aus genieße ich den herrlichen Ausblick auf die nächtliche Bucht von Cienfugeos, spärliche Lichter erhellen altertümliche Gassen unter einem endlosen Sternenhimmel.
Oder gleich mit dem Pferd durch Kuba?

ID nnz7y7, danfuxdanfux, Activity: 0%, Views: 899, Chars: 7619, 161 months ago

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