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Inzwischen kniete Aileen bereits eine Viertelstunde neben dem Toten. Während des Studiums hatten sie oft über die Verfassung und Gefühle von Mördern diskutiert, aber Aileen hätte nicht gedacht das es wirklich so schlimm war. Ihr war übel. Sie fasste sich wieder, verwischte ihre Fingerabdrücke und legte den Hinweis neben das Opfer. Sie hatte ihn nicht gekannt. Er tat ihr Leid. Aber es war nicht anders gegangen. Irgendjemanden hatte sie nehmen müssen, und er war auf die schnelle der einzige ohne Familie gewesen.

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Sie wusste, dass ihr noch viel Schlimmeres bevorstand. Das war nur die erste Generalprobe gewesen. Ein zufällig ausgewähltes Versuchsobjekt. Die Opfer, um die es ihr schlussendlich ging, die Personen, die die Hauptschuld am Tod ihrer Eltern und an dem Anschlag auf sie selbst trugen, waren nicht alleinstehend. Und sie waren gefährlich, sie würden sich zur Wehr setzen. Sie würden Unterstützung haben. Sie würden es ihr nicht so einfach machen, wie dieser jämmerliche Verlierer hier, wer immer er auch gewesen sein mochte. Aber vor dem großen Finale lag noch einen Menge Arbeit vor ihr.

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Aileen saß jetzt bereits seit geschlagenen drei Stunden in ihrem Wagen.
Sie parkte vor dem Hauptgebäude der Universität und wartete. Wartete das es Dunkel wurde. Wartete das ihr nächstes Opfer heraus kam. Seit einer Woche beobachtete Aileen sie schon. Sie war nur wenige Jahre jünger und studierte noch. Irgendwas im Rechtswesen. Aileen wusste es nicht. Es interessierte sie auch nicht. Sie stieg aus, holte eine Zigaretten raus und zündete sie an. Sie musste husten. Eigentlich rauchte sie nicht, doch nach dem ersten Mord hatte sie etwas zur Beruhigung gebraucht. Genau so wie jetzt. Bei dem Gedanken an das kommende wurde ihr schlecht.

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Andererseits war sie froh über ihren Entschluss, diesmal eine Schusswaffe zu verwenden. Dadurch erschien ihr die bevorstehende Tat unpersönlicher, irgendwie unwirklicher. Sie brauchte nur den Abzug zu drücken, nicht viel anders als den Knopf einer Fernbedienung. Sie würde ihrem Opfer nicht so nahe kommen müssen wie beim letzten Mal. Zu diesen Gedanken zwang sie sich selbst, während ihr Körper ihr dennoch eine ganz andere Geschichte erzählte. Etwas Sorge bereitete ihr die Waffe selbst. Würde man sie zurückverfolgen können?

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Sie hoffte das sie alles richtig gemacht hatte. Immerhin war sie Kriminologie-Studentin gewesen, sie musste eigentlich wissen, was zu tun war. Sie stand noch immer vor ihrem Auto. Langsam wurde sie Ungeduldig. Und ihr war Kalt. Sie musste sich konzentrieren. Sie durfte keinen Fehler machen! Bevor sie noch jemand sah, stieg sie lieber zurück ins Auto. Am liebsten wäre sie zum nächstbesten Cafe gelaufen und hätte sich einen warmen Tee geholt. Aber es durfte sie niemand hier sehen. Wenn sie es richtig machte, durfte nicht einmal ihr neues Opfer sie sehen. Sie sah auf die Uhr. Langsam wurde es Zeit. Die Vorlesungen waren natürlich alle schon lange zu Ende, aber die junge Frau verbrachte oft den Rest des Tages in der Universitätsbibliothek. Und da kam sie endlich. Aileen wurde wieder etwas übel. Es war nicht so schlimm wie beim ersten Mal. Sie hoffte sich Heute nicht übergeben zu müssen. Sie machte das Handschuhfach auf und nahm die Pistole und den Brief heraus. Danach stieg sie langsam aus. Ihr Ziel war noch weit entfernt, aber Aileen wollte vorbereitet sein.
Sie verschloss das Auto und ging los. Sie hatte extra auf der entgegengesetzten Seite des Campus geparkt. Wie oft war schon jemand dafür dran gekommen, das man ihn vom Tatort flüchtend in sein Auto springen sehen hat. Selbst wenn jemand Aileen sah, eine Personenbeschreibung war tausend mal schwieriger und ungenauer, als die eines Autos oder schlimmsten Falls eines Kennzeichens.

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Diesmal war es erheblich leichter gewesen.
Sie hatte sich der Frau von der Seite genähert, war aber immer außerhalb ihres Sichtfeldes geblieben. Als die Frau dann damit beschäftigt gewesen war, ihre Unterlagen in den Kofferraum ihres Autos zu legen, hatte Aileen sich angeschlichen und aus einer kleinen Entfernung abgedrückt. Das war das erste Mal, das sie eine Schusswaffe benutzt hatte. Es hatte ihr nicht gefallen, aber es war einfacher gewesen, als mit dem Messer. Sie war froh sich für einen Schalldämpfer entschieden zu haben, da auch der schon recht laut gewesen war. Aber sie glaubte sonst niemanden damit aufgeschreckt zu haben. Aileen hatte noch zusätzlich Glück gehabt, da sie die Leiche nicht erst in den Kofferraum heben musste, womit sie zweifelsfrei damit Spuren hinterlassen hätte. Die Frau war nach von selbst nach vorne gefallen und Aileen hatte nur noch ihre Beine hinein heben müssen. Sie hatte den Brief von unten an den Kofferraumdeckel geklebt und war dann schnell wieder zu ihrem eigenen Wagen gelaufen.
Jetzt war sie auf dem Weg nach Hause. Es würde ein oder zwei Tage dauern, bis man die Leiche finden würde und Aileen hatte damit genug Zeit, alles für ihr drittes Opfer vorzubereiten. Das letzte unschuldige Opfer auf ihrer Liste.

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Aileen wusste, dass sie sich ihr nächstes Opfer in aller Ruhe aussuchen konnte, dass sie Zeit hätte, sich stundenlang auf die Lauer zu legen. Dieses Wissen hätte eine beruhigende Wirkung auf sie haben müssen, doch das Gegenteil war der Fall. Jetzt, wo sie nur noch ein Schritt davon trennte, diese Sache ein für alle Mal zu Ende zu bringen, fühlte sie sich in einem ständigen Zustand der nervösen Erregung. Euphorie wäre wohl das falsche Wort, das war es nicht. Noch nicht. Aber sie spürte, wie ihr Körper sich instinktiv für das Bevorstehende wappnete. Sie lief stundenlang durch die Stadt, getrieben von der Vorstellung, wie sie denjenigen, die dafür verantwortlich waren, dass ihr Leben zu einem solchen Albtraum geworden war, endlich gegenübertreten würde. Rache ist süß, dachte sie. Ein Allgemeinplatz, der ihr jedoch mit einem Mal eine tiefe Wahrheit zu enthalten schien. Aileen lachte bitter auf und setzte die Jagd nach ihrem nächsten Opfer fort.

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Polizeihauptkommissar Andreas Jehnsen stand vor der Leiche.
Er konnte mit dem ganzen Szenario nichts anfangen.
Es war kein Raubüberfall gewesen, es fehlte nichts, im Gegenteil, der Mörder hatte sogar etwas da gelassen. Es war eine kleine Postkarte.

"Sie haben es nicht geschafft diesen Mann zu retten, auch ihn haben sie sterben lassen Jehnsen. Sie sind kein Polizist, sie sind ein Mörder; und Mörder bekommen eine Strafe. Ich bin ihre Strafe."

Man hatte Jehnsen hinzugezogen, nachdem die Karte gefunden worden war. Er war die ganze Zeit am Grübeln, doch ihm fiel niemand, als Täter ein. Nun gab er die Karte wieder zur Spurensicherung. Sie mussten irgendwie herausfinden, von wo oder von wem die Karte kam. Jehnsen ging vor die Tür und zündete sich eine Zigarette an. Das musste er unbedingt Stefan erzählen. Sie hatten jahrelang zusammen gearbeitet und vielleicht fiel ihm dazu etwas ein.

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"Sich von einem Mörder als Mörder beschimpfen lassen, weit sind wir gekommen", murmelte Andreas Jehnsen. Obwohl er sich seinen Kollegen gegenüber nichts anmerken ließ, ging ihm die Sache an die Nieren. Beim Gedanken, ein wahnsinniger Killer könnte es auf ihn abgesehen haben, wurde ihm mulmig. Denn dass der Verfasser der Botschaft wahnsinnig war, daran bestand für Jehnsen kein Zweifel. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er hatte nie Fahrerflucht begangen, Hilfeleistung unterlassen oder seiner Frau Pelzmäntel gekauft oder zu einer Abtreibung geraten. Er hielt sich für völlig unbescholten und doch gab es da jemanden, der das anders sah. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Vielleicht gabe es noch einen Jehnsen bei der Polizei? Er machte sich zwar keine großen Hoffnungen, aber er durfte nichts unversucht lassen. Jehnsen machte sich Sorgen um seine Familie, die nichtsahnend ihren täglichen Verrichtungen nachging. Der Gedanke machte ihm Angst. Er musst sofort etwas unternehmen. Zu viel stand auf dem Spiel. Er nahm sein Mobiltelefon aus der Tasche und tippte eine Nummer ein. Nach kurzem Klingeln meldete sich jemand am anderen Ende mit den Worten: "Mensch Andreas, hast du mal auf die Uhr geschaut? Wenn das kein Notfall ist..." - "Hallo Stefan, aufgeweckt wie immer. Sag mal, schläfst du etwa um elf Uhr morgens?" - "Vielleicht ist es ja noch nicht bis zu dir durchgedrungen, aber wir haben hier so eine komische Einrichtung namens Nachtschicht. Aber schon gut, mir knurrt sowieso der Magen. Was gibt's?" - "Ich habe ein Problem Stefan und ich hätte gern deinen Rat. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Ich bring Frühstück mit", sagte Jehnsen und legte auf, bevor Stefan Ruhr sich gegen den angekündigten Überfall wehren konnte. Dann machte er sich auf den Weg.

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"Guten Morgen Stefan." Stefan Ruhr bat ihn, noch immer etwas verschlafen, einzutreten. "Du bist mir vielleicht einer.", begrüßte er seinen alten Freund. Ohne viele Worte zu verlieren gingen sie in die Küche. "Schnitt, Mohn oder Sesam?", fragte Andreas. "Hmm, nichts mit Kürbiskernen? Dann werf mal ein Mohn rüber!", brummte sein gegenüber grinsend. "Sag Andreas, was ist los? Du bist so hippelig wie ein halbes Huhn auf dem Grill!"

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