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Back All (9)

Als sie bei sich zuhause angekommen war, war sie natürlich völlig außer Atem. Sie blieb einen Moment vor der Haustüre stehen und presste sich die Hand an die Seite, wo es bei jedem Atemzug unangenehm stach.
"Shit", murmelte sie und zog ihren Hausschlüssel aus der Hosentasche. Sie schloss auf und ging hinein. Drinnen brannte Licht und der Geruch nach Pfannkuchen füllte die Wohnung.
"Linda? Bist du das?", ertönte die Stimme ihrer Mutter und Linda zuckte zusammen.
"Ja", war ihre Antwort. Verdammt. Sie hätte wissen müssen, dass ihre Mutter heute früher aus der Arbeit zurückkam. Sie seufzte und ließ ihre Tasche mitsamt Jacke und Schuhe neben der Eingangstür zurück. Wo sie schon mal hier war, konnte sie gleich was essen. Sie hatte den ganzen Tag so gut wie nichts zu sich genommen und bei dem Geruch der Pfannkuchen rumorte ihr Magen.
"Wie war die Schule?", fragte ihre Mutter, Marie, obwohl sie sich nicht wirklich interessiert anhörte.
Linda zuckte mit den Schultern und ließ Wasser in ein Glas laufen. "Ganz ok."
Marie nickte stumm und machte weiter die Pfannkuchen. Linda nahm sich einen, schmierte Marmelade darauf und setzte sich dann an den kleinen weißen Küchentisch neben der Tür.
"Wir haben eine Einladungskarte von deinem Onkel Richard bekommen. Er feiert seinen fünfzigsten Geburtstag."
"Ich weiß nicht, ob ich Zeit dafür habe", wich Linda ihr aus und bis von dem Pfannkuchen ab. "Ich hab so viel auf und bald stehen auch die ersten Klausuren an."
Sie spürte den finsteren Blick ihrer Mutter, sah aber nicht auf. Sie hatte genug von diesen feindseligen Blicken und Gefühlen der Frau, die sie ihre Mutter nannte. Ihr Vater, Tim, hatte ihr es nie gesagt, aber Linda glaubte nicht, dass Marie wirklich ihre Mutter war. Es war keine Ähnlichkeit zwischen ihnen da und Linda konnte sich nicht daran erinnern, jemals so etwas wie mütterliche Liebe gespürt zu haben.
Also war sie zu dem Schluss gekommen, dass Marie nicht ihre leibliche Mutter war und sie nur einen Vater hatte. Tim kümmerte sich gut um seine Tochter und hatte Verständnis für ihre ... Fähigkeiten.
Linda seufzte und nahm einen kleinen Schluck Wasser.
"Na gut, dann bleibst du eben da. Dann können dein Vater und ich uns auch ein Hotelzimmer leisten."
Das hört sich an, als würde ich so viel kosten, dass sie sich nicht mal mehr ein Hotelzimmer leisten könnten, dachte Linda verdrießlich und nahm sich einen zweiten Pfannkuchen.
Nach ein paar Minuten des Schweigens verkündete Marie plötzlich etwas, das Lindas Blut gefrieren ließ.
"Ich habe heute mit deinem Augenarzt gesprochen."
Linda hielt im Kauen inne und starrte die zierliche Frau an, deren blondes Haar in einem losen Zopf zusammengebunden war.
"Wie bitte?" Ihre Stimme war ganz ruhig und doch war die Drohung darin genau herauszuhören. Marie zuckte leicht zusammen, sah ihre Tochter aber nicht an.
"Dr. Serkow meinte, du könntest morgen nach der Schule bei ihr vorbeischauen. Um diese Zeit hat sie nicht mehr so viel zu tun."
"Das werde ich nicht", entgegnete Linda selenruhig und stellte ihren Teller und das Glas neben das Spülbecken, in dem Marie gerade herumhantierte. Die Frau sah auf und begegnete Lindas Blick. Aber nicht lange genug, dass Linda ihre Gedanken erfassen konnte.
"Ich habe den Termin bereits gemacht und du wirst dort hingehen."
Ihre Antwort klang entgültig.
Aber sie kann mir nichts befeheln, dachte Linda, sagte nichts darauf und schnappte sich einen Apfel, den sie mit aufs Zimmer nahm. Sie schloss leise ihre Tür hinter sich und schloss dann die Augen.
"Ganz ruhig, Linda. Tief durchatmen."
Das tat sie dann auch und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Dann legte sie sich aufs Bett und drehte den Kopf nach rechts, sodass sie nach draußen in den grauen Himmel schauen konnte.
Wie gern würde sie dieses Haus verlassen. Aber sie wüsste nicht, wohin sie gehen sollte. Außerdem ging sie ja noch zur Schule.Und ihren Vater gab es ja auch noch. Sie konnte ihn nicht einfach so verlassen.
Sie seufzte laut und stand dann auf. Ihr Zimmer war nicht groß. Gerade so, dass ein Bett, ihr Kleiderschrank und ein kleiner Schreibtisch hineinpasste. Eine Kommode stand noch in der Ecke, das war's dann auch schon.
Als sie mit ihren Hausaufgaben fertig war, war es bereits dunkel draußen. Die Laterne strahlte in ihr Zimmer und sie fuhr sich über die Augen. Sie schmerzten höllisch.
Kam das daher, weil sie heute von so vielen Menschen die Gedanken gehört hatte? Oder nur, weil sie so müde war vom ganzen Schulstress?
Insgeheim versteifte sie sich auf die zweite Antwort.
Plötzlich horchte sie auf. Unten fiel die Haustür ins Schloss und eine tiefe männliche Stimme ertönte. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen und sie packte ihre Schulsachen zusammen und ging dann nach unten.
Ihr Vater saß bereits in der Küche und verspeiste einen Pfannkuchen nach dem andern. Aufgrund seines großen Appetits war sein Bauchumfang auch entsprechend. Er sah aus wie ein großer Teddybär.
Linda lächelte, als zur Küche hinüberging. Doch dann hörte sie die Stimmen ihrer Eltern und blieb stehen.
"...weiß ja, dass du es nur gut meinst, aber du kannst das nicht einfach so entscheiden", sagte ihr Vater gerade und hörte sich alles andere als zufrieden an.
"Du weißt gar nicht, wie das ist!", rief Marie und Linda zuckte zusammen. "Jedes Mal, wenn ich mich mit Freundinnen aus der Nachbarschaft treffe, tratschen sie über sie. Dass sie einem nie in die Augen schaut. Dass sie unhöflich ist und so weiter."
Natürlich war mit "sie" Linda gemeint. Von wem sonst könnte wohl die Rede sein außer ihr? Angestaute Wut keimte in ihr hoch und sie ballte die Hände zu Fäusten.
"Ich weiß genau, was du meinst", meinte ihr Vater traurig, was Linda einen heftigen Stich versetzte. "Aber trotzdem gibt dir das nicht das Recht, zu tun, was du willst. Du musst auch auf Linda Rücksicht nehmen."
"Und wer nimmt auf mich Rücksicht? Kein Mensch! Ich bin hier das Opfer und du kapierst das einfach nicht, du ..."
Linda schlug die Tür auf und starrte Marie an. Wut, die nicht nur von ihr stammte, ergriff von ihr Besitz.
"Was will die denn hier schon wieder? Wie ich sie hasse. Tim hätte sie schon als Baby in ein Waisenhaus geben sollen. Dann hätten wir die Probleme jetzt nicht."
"Marie", sagte Linda und wandte sich dann an ihren Vater. "Tim."
Ihr Vater lachte nervös auf und stand auf, um seiner Tochter eine Hand auf die Schulter zu legen.
"Guten Abend, Linda. Wie war die Schule?"
"Gut."
"Schön. Marie hat dir sicher schon gesagt, dass wir zu ..."
"Ja. Hat sie."
"Ah." Er wusste nicht, was er sagen sollte, das war offensichtlich.
"Ich gehe hoch. Ich muss noch Hausaufgaben machen", log sie lahm.
"Ja, tu das, mein Kind", sagte ihr Vater und küsste sie auf die Stirn. Dann schloss sie leise die Tür hinter sich und rannte die Treppe hinauf. Sie wollte nicht noch mehr hören. Das, was sie wusste, reichte vollkommen.
Tränen rannen ihre Wangen hinab und sie schloss sich in ihrem Zimmer ein.
Bis tief in die Nacht hinein weinte sie und antwortete nicht, als ihr Vater versuchte, einzutreten und nach ihr zu rufen.
Sie wollte nur noch allein sein.

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