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"Warten. Immer warten."

Lutz nimmt sich einen der Korbstühle und setzt sich. Nach einen kurzen Blick auf die schlafende Oma Hall schließt er ebenfalls die Augen.

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Die Sonne scheint auf sein Gesicht und trotz der geschlossenen Augen, dringt etwas von der Helligkeit zu ihm durch. Es ist wie, wenn man zu lange in die Sonne geschaut hat, die Augen schließt und plötzlich einen bunten Lichtpunkt vor sich sieht. Erst ist er weiß-gelblich, doch mit viel Fantasie kann man seine Farbe, Form und Größe ändern. Für eine Weile spielt Lutz mit dem Gedankenpunkt vor seinem inneren Auge, als die Stimem von Oma Hall ihn aus seinen Gedanken reißt: " Wie alt sind sie, Lutz?"
Die alte Dame hat sich noch nicht daran gewöhnt, dass sie ihn dutzen darf, benutzt deshalb zwar seinen Vornamen, aber sagt immer noch Sie.
Er schlägt die Augen auf und fragt verdattert: " Wie bitte?"
" Ich fragte, wie alt Sie sind?"

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"Einundzwanzig", antwortete Lutz und verkniff sich die Gegenfrage. "Macht man nicht. Frauen fragt man nicht nach ihrem Alter", war ihm von seiner Mutter irgendwann einmal erklärt worden.
"Mmmh. Als ich so alt war, war Krieg. Der Zweite. Den Ersten habe ich nicht erlebt."
Oma Hall schloss die Augen; schien sich zu erinnern.
"Und, wo waren Sie da? Ich meine, was haben Sie da gemacht?" fragte Lutz, nur mäßig interessiert.
"Wir lebten hier in Münster. Ich bin hier geboren. Genau wie meine drei Geschwister. Sind alle schon tot. Was ich damals gemacht habe? Na gewartet: Auf Lebensmittel, Kohle und was wir so zum Überleben brauchten. Immer die Bezugsscheine in den Fingern; und immer am Ende der Warteschlange."

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Splitstories

  • Ein kleiner Denkanstoß über den Umgang mit unseren Alten, während sie auf ihren Tod warten.

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