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ein unbedeutendes Leben

Nach der Arbeit fuhr ich in den Statdpark, zum Joggen. Sport hilft, den Stress abzubauen. Acht Stunden vor dem Computerbildschirm hinterlassen ihre Spuren.
Als ich loslief, tränkten die ersten Sonnenstrahlen den Horizont rot und die Hügel des Parks warfen lange Schatten über die Wege, Bäume und Grasflächen. Ich folgte einem dieser Wege, der hinauf auf den nächsten Hügel führte.
In irgeindeinem Sportmagazin stand, wenn man lange genug läuft, dann schaltet das Gehirn die Gedanken aus und konzentriert seine ganze Leitung auf den nächsten Schritt und den nächsten Schritt und den nächsten Schritt.
Mein Atem keuchte und der Schweiss tränkte das T-Shirt - doch meine Gedanken blieben bei...

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Ich sitze vor dem Fernseher und lasse mich von dem Cartoonprogramm der Privatsender berieseln. Bis zu dem Moment, in dem ich Sie höre. Nein, nicht Sie, nur Ihre Schritte. Sie hallten durch den Etagenkorridor, unüberhörbar, durch meine Wohnungstüre, durch meine Zimmertüre, bis zu dem Sessel auf dem ich sitze und auf der Fernsehbedienung die "Mute"-Taste drücke.
Die Schritte verharren. Metallenes Klimpern als aus einem Schlüsselbund ein Schlüssel heraus gesucht, in das Schloss geschoben, umgedreht wird. Die Türe geht auf. Schließt sich wieder.
Angestrengt lausche ich in die folgende Stille. Die Wände zwischen den Wohnungen haben eine ausreichende Breite, um die Nachbarn voneinder fernzuhalten, auch auf akkustischem Level. An den meisten Tagen und Nächten beglückwünsche ich mich für diesen Umstand. Doch nicht heute. Nicht jetzt. Noch ein paar Andeutungen von Schritten. Sie öffnet die Fensterrolladen. Dann kehrt entgültig Stille ein.
Seuzend drücke ich wieder die "Mute"-Taste.

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Die letzten Schritte musste ich mich zwingen, das Lauftempo beizubehalten. Nach Luft schnappend, erreichte ich die Kuppe des Hügels. Die Handflächen über den Knien abgestützt, atmete ich tief durch, Atemzug um Atemzug.
Kieswege, eine Handvoll kahler Kastanienbäume, drei Parkbänke und zwei Abfalleimer prägten das Bild. Und zwei Rentnerpaare, die je eine Bank für sich beanspruchten. Doch wegen dieser Aussicht waren weder sie noch ich an diesem Ort: Vor dem Hügel erstreckte sich das Panorama der Großstadt, allen vorran die Firmenzentrale des M&V-Konzern und die beiden Twin-Tower. Nein, ich meine nicht DIE Twin-Tower sondern die Twin-Tower.
Die untergehende Sonne hatte den Herbstabend in Brand gsteckt. Rotes Licht durchbrach die kalte Luft. Noch zu warm, um den Atem in einen weißen Strahl zu verwandeln, aber kalt. Ich stützte mich auf die Sitzlehne der freien Parkbank. Und dachte nach. Was konnten zwei Menschen alles an einem Ort wie diesem erleben? Und mir zwei Menschen meinte ich...

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Am Abend ertappe ich einen meiner Nachbarn beim Rauchen von Marihuana. Einen Namen könnte ich nicht nennen, denn es dringt nur der Rauch durch das Kipp stehende Fenster. Doch der Geruch ist unverkennbar.
Sie kann es aber nicht sein. Sie raucht schon, dass weiß ich, höre ich, rieche ich, wenn ich an den Abenden auf meinem Balkon sitze und sie eine Trennwand weiter eine Zigarette in der Hand hält. Einmal fand ich sogar eine leere Zigarettenschachtel auf meinem Balkon, die nur sie auf diese Weise entsorgt haben kann. Aber Marihuana habe ich sie noch nie rauchen gerochen.
Irgendeine andere Partei des Wohnblocks muss in ihrer Wohnung oder auf ihrem Balkon mit einer Tüte stehen (oder sitzen) und den Feierabend an sich vorbei ziehen lassen.

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Der Vorgang ID zvn7uv verlangte nach einer Bearbeitung. Und so riss ich mich aus den Gedanken los, griff gedankenlos nach der Akte, schlug sie auf, suchte nach der Anlage 3 und begann die Angaben auf ihr mit den Computereinträge abzugleichen.
Keine Differenz. Der Kunde hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Die Akte wurde zugeschlagen und auf den "Erledigt"-Stapel abgelegt.
Eine Stunde später stand ich vor dem Abteilungsleiter:
"... hätte er das nicht nochmal abgeglichen, wissen sie, was ich mir hätte anhören müssen? Und sie wissen ja, Scheiße fließt immer nach unten. Das hätte für sie ganz, ganz dumm ausgesehen. Wo ware sie bloß mit ihren Gedanken, als sie ID zvn7uv bearbeitet haben?"
Endlich gelang es mir den Mund aufzumachen und zu antworten/fragen: "Heisst dass, jeder meiner Vorgänge wird noch überwacht?"
"Bitte?" Ihm stand die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben.
"Werde ich hier ständig überprüft? Ob ich auch alles richtig mache? Ist es so?"
"Jetzt drängen sie sich bloß nicht in die Opferrolle, haben wir uns da verstanden? SIE haben einen Fehler gemacht, der dem Steuerzahler eine Menge Geld hätte kosten können."
"Aber ich werde trotzdem überwacht."
"Wenn so etwas nochmal passiert, kann ich für nichts garantieren. Nicht einmal für ihre Stelle..."

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Gerade war ich zu der Überzeugung gekommen, sie sei verreist oder in den Urlaub gefahren - einen Umzug hätte ich mitbekommen - da höre ich sei wieder. Ihre Schritte klingen durch die Stimme der Nachrichtensprecherin eines Privatsenders durch. Heute ist nicht viel passiert, die Koalition streitet sich, ein Hollywoodstar bekommt keinen Cameo in einem potentiellen Blockbuster, alles keine Informationen, an die man sich in 10 Jahren einnern wird/muss. Das wirklich Wichtige passiert sowieso nicht im Fernseher, sondern vor der eigenen Wohnungstüre. Dann hinter ihrer Wohnungstüre, als diese wieder ins Schloss fällt.
Heute Nacht soll es Bodenfrost geben.

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Kälte in seinem Herzen. Was hielt ihn noch an diesem Ort? Die Akten allenfalls, die sich einem Bleigewicht gleich, an sein Bein krallten und mit sich, in die ewige Tiefe zerren wollten. Wenn sie die nächsten 30 Jahre im Archiv lagern mussten und am Ende doch nur der Reisswolf und dann die Verbrennunganlage auf sie wartete, dann wollten sie wenigstens ein Opfer mitnehmen. Und sei es nur so ein unbedeutendes wie Ihn.
Dessen war er sich ganz sicher. Er lehnte sich vor dem Büro seines Abteilungsleiters an die Wand. Entkommen! Aber wie? Bürokratie gab es überall auf der Welt, überall Akten die auf ihn warten könnten. Freude, Verwandte und Bekannte der hiesigen Akten, die ihnen noch einen Gefallen schuldig waren.
"Geht es dir nicht gut?"
Hoffnungsvoll öffnete er die Augen. Doch es war die die dicke Kollegin aus der Abteilung Drei. Nein, nicht dick. Entschuldigung, eine Überreaktion. Doch ein paar Pfund weniger hätten ihr besser gestanden.
"Danke, mir geht es gut." antwortete er mit trockenem Mund. "Nur der übliche Einlauf vom Leiter."
Bei dem medizinischen Begriff zog die Frau ihre Augenbrauen zusammen und er musste sich eingestehen, dass er in der Gegenwart einer Frau nicht in den selben Jargon reden konnte, den er in Gegenwart der Freunde, die er nicht hatte, anschlug.
Ihre Wege trennten sich wieder.

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Schlechter Tag auf Arbeit. Doch kaum dass die Wohnungstüre hinter mir ins Schloss fällt, ist jeder Kummer, jede Sorge wie weggewischt. Heute ist Donnerstag und da lädt sie manchmal ihre Kolleginnen (Kolleginnen? Wieso nenne ich sie Kolleginnen? Freundinnen wäre doch viel wahrscheinlicher. Nur weil meine einzigen Bekanntschaften Kollegen sind, muss dass doch nicht... egal) zu sich ein und dann wird gefeiert. Laute Gespräche hinter den Wänden und Rauch auf dem Balkon. Nach so einen Donnerstag fand ich auch die früher erwähnte Zigarettenschachtel auf meinem Balkon.
Heute ist also Donnerstag und ich sitze vor dem Fernseher, vor dem Abendprogramm und höre zu. Ärgere mich, über diese Lärmbelästigung. Ich sollte meinem Vermieter einen Brief schreiben und auf diesen Missstand hinweisen. Nein, noch besser: Ich verlasse die Wohnung, schelle an der Nachbarstüre und weise die Feiernden auf diesen Missstand hin! Dann wissen sie, dass ich existiere. Greife nach der Fernbedienung und stelle den Ton lauter, auf 72%!

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Die Nacht hatte ich schlecht geschlafen. Irgendwas, dass mich wach gehalten hatte. Vielleicht die Rückenschmerzen. Am morgen spielte ich mit dem Gedanken, krank zu feiern, zum Arzt zu gehen und mir neues Tetrazepan verschreiben zu lassen. Doch ich wusste, dass keine dieser Handlungen mein Problem lösen würde. Und so fuhr ich wie jeden Morgen zu Arbeit. Es war ohnehin Freitag, ein weiteres Wochenende wie jedes Stand vor der Türe. Also doch Tetrazepan, um im fröhlichen Rausch durchzufeiern?
Auf Arbeit der gleiche Trott. Ich wusste wirklich nicht, wieso ich dies immer noch aufschrieb, wen sollte eine Erzählung wie diese interessieren? Aber was hatte ich besseres zu tun. Irgendwann, zwischen 9:00 und 10:00 beschloss ich, nach Feierabend laufen zu gehen. Noch so ein Ereignis, dessen Verewigungswert anzweifelbar war. Na ja.
Ich dachte darüber nach, weswegen ich nicht hatte schlafen können? Ringe unter den Augen. Was tun? Endlich näherte sich der große Uhrzeiger wieder der 12 und mit ihm der Feierabend. Ich beschloss, laufen zu gehen. Dieses Mal wirklich.

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Nach einer Weile gewöhnt man sich daran, früh aufzustehen. Und wenn es so weit ist, dann wacht man auch an einem Samstag um 6:00 Morgens auf, auch wenn man sich am Abend zuvor drei Mal vergewissert hat, dass die Weckfunktion ausgestellt war.
Stille. In der Wohnung. Vor dem Fenster fährt ein Auto vorbei. Und noch eines. Und noch eines. Und noch eines. Samstagmorgenberufsverkehr.
Ich lausche in die Stille, doch alles, was durchdringen will, sind die Fahrzeuge. Auf die Laute, die die man hofft, hofft man vergebens. Fünf Minuten ziehen durchs Land. Aus zehn Minuten wird eine Viertel Stunde, wird die Gewissheit, dass sie noch schläft. Drüben in der Nachbarwohnung.
Alleine? Nein, das geht mich nichts an. Eins bisschen Privatsphäre sollte ich ihr lassen. So greife ich nach dem Buch dass unter dem Bett liegt und schlage die Zeit mit Lesen tot. Als die Langeweile obsiegt, schalte ich den Fernseher ein. Lautsstärke auf 72%. Vielleicht wacht sie ja jetzt auf.

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Und ich wusste nicht, wie ich das Wochenende totschlagen sollte. Am Ende blieb mir nur die unbequemste aller Lösungen: Ich fuhr in den Stadtpark und trieb Sport, effektiv Jogging. Ein Tiefdruckgebiet blies mir Wasser und Wind ins Gesicht und durchnässte - in Kollaboration mit Körperflüssigkeiten - das T-Shirt, Baumwolle, die sich unvorteilhaft auf dem Körper abzeichnete. Einen Körper, der sonst keinen Sport gewöhnt schien. Mir taten die Menschen, die das hautenge T-Shirt sehen mussten leid. Aber lieber die als ich.
Vier Kilometer hielt ich durch, dann, während Kilometer fünf, am Fuße des Hügels, da siegte die Vernunft und ich trottete zum Auto zurück. Der Regen legte sich allmählich. Eine Fahrt zurück über die Verkehrsadern, Ringe genannt, die sich, einer Arteriosklerose gleich, um die Stadt ablegen.
Bei dem Supermarkt an der Ecke rang ich mit mir selbst, dann siegte die Vernunft und ich fuhr auf den Parkplatz und mit einem Einkaufswagen durch die Gänge mit ihrem auf Regalen verteilten Warensortiment. Eine Tiefkühlpizza, eine Choke-Zero und eine Flasche weißen Rum und der Abend war gerettet.

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Der Titel sagt schon alles...

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Fernseher, Party, Sport

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