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ID 962w06

Back All (3)

Das schöne Herbstwetter schienen die Menschen in der Stadt gar nicht richtig zu bemerken. Sie rauschten wortlos aneinander vorbei, manche mit grimmigen Gesichtern, andere mit nachdenklichen oder lächelnden Gesichtern. Sam stand mit ihrem Trolli und ihrer Handtasche auf dem Bürgersteig und sah sich um. Hinter ihr saßen ein paar Leute draußen und schlürften genüsslich an einem dampfenden Kaffee oder aßen ein Stück Kuchen, während eltiche Menschen an ihren vorbei wuselten und auf der anderen Seite Autos die enge Straße entlangfuhren und sich gegenseitig verärgert anhupten. Sam lächelte ein wenig und atmete dann tief durch.
Natürlich war ihr vollkommen klar gewesen, dass das Leben in der Stadt nicht im größeren Kontrast als zu dem auf dem Hof stehen könnte. Hier grüßten die Leute sich nicht einfach so, wenn sie einander nicht kannten. Die Luft roch nach Abgasen und war erfüllt von lautem Menschengemurmel.
Und trotzdem verspürte Sam eine unbändige Vorfreude auf ihr neues Leben hier.
Sie holte ein letztes Mal tief Luft und stellte sich mit vielen anderen an die Ampel, die nach ein paar Minuten endlich auf Grün umsprang. Sam wurde angerempelt und sie entschuldigte sich sofort. Als sie drüben angekommen war, bog sie nach rechts ab und ging den breiten Gehsteig hinunter, an vielen Schuhgeschäften, Juwelieren und Spielzeugläden vorbei. An einem Geschäft, in dem wunderschöne handgemacht Kerzen verkaufte, blieb sie kurz stehen und betrachtete die fantasievoll gestalteten Werke.
Vielleicht sollte ich Martina und ihren Eltern ein kleines Geschenk mitbringen, überlegte sie und betrachtete die Preise, bei denen ihr die Röte ins Gesicht stieg. Räuspernd wandte sie sich ab und ging weiter.
Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Wie sollte sie ihren Lebensunterhalt bloß verdienen? Vor einem Jahr hatte sie zwar ihren Abschluss gemacht, aber seitdem auf dem Hof ihrer Eltern ausgeholfen. Um ihre eigene Zukunft hatte sie sich nicht viele Gedanken machen müssen, denn sie hatte etwas zu essen und ein weiches Bett gehabt. Was wollte sie mehr? Aber nun würde sich das ändern müssen.
Ach, ich werde schon was finden, beruhigte sie sich und lächelte ein wenig. Sie durchquerte einen breiten Torbogen und blieb am Rand einer kleinen Brücke stehen. Hier hatte sie mit Martina die Schwäne gefüttert, die im Sommer auf dem Wassers des kleinen Flusses schwammen. Jetzt sah sie keine.
Es dauerte ungefähr zehn Minuten, bis sie endlich das Haus ihrer ehemaligen Freundin erreicht hatte. Es lag ein wenig außerhalb des Tummults der Stadt in einer Seitengasse. Ein weißer Zaun umrundete das gesamte Grundstück und ein großes, beiges Haus erhob sich hinter den bunten Bäumen, die bereits ihre Blätter verloren.
Sam blieb stehen und sah sich um. Die Gegend hier schien nur für die etwas Reicheren zu sein, so wie die Gärten und Häuser aussahen. Ihr wurde mulmig zumute. War es tatsächlich nicht zu viel verlang, wenn sie einfach so auftauchte und bei der Familie unterkommen wollte, bis sie etwas eigenens gefunden hatte?
"Egal. Ich werde ja auch für alles bezahlen", murmelte Sam und öffnete das kleine Türchen, das auf das Grundstück führte. Ihr fiel auf, dass der Rasen makellos war. Sicher haben die einen Gärtner, dachte sie.
Sie stieg mühsam die Treppen hinauf und hievte mit einiger Mühe ihren tonnenschweren Koffer hinterher und musste oben erst mal durchschnaufen, bevor sie auf den kleinen Knopf drückte. Von drinnen ertönte ein melodisches Klingeln, dann war es still.
Sam wartete geduldig, bis sie Schritte hörte und die Tür aufgerissen wurde.
Und sie bekam den Schock ihres Lebens.
Die kleine, nette Martina von früher, die in ihrem rosanen Kostüm wie eine Prinzessin ausgesehen hatte, hatte sich in ein schwarzes Monstrum verwandelt. Na ja, das war vielleicht etwas übertrieben, aber es erschrack Sam doch, wie sehr ihre Freundin sich verändert hat. Die Augen waren schwarz angemalt, das einst blondbraune Haar schwarz gefärbt und sie trug ausschließlich dunkle Klamotten. Keine süße kleine Prinzessin mehr.
Sam zwang sich zu einem Lächeln und räusperte sich erneut.
"Hey, Martina."
Das konnte ja heiter werden, dachte sie und zog ihre Mundwinkel weiter nach oben.

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