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Es regnet und ich habe, und das ist mal wieder typisch, die Bahn verpasst. Klitschnass stehe ich also da und sehe zu, wie meine Bahn sich langsam in Bewegung setzt, erst quälend langsam, so als könnte ich mich noch auf sie stürzen, dann immer schneller, bis sie schließlich in einem Tunnel verschwindet. Na super. Eine Minute zu spät. Normalerweise hätte ich mich natürlich auch aufgeregt, aber diesmal ist es besonders ärgerlich- schließlich war das meine letzte Bahn nach Niederhöchstadt (ja, das kennt sicher kein Mensch, also lasst mich erklären, das ist ein kleiner Ort in der Nähe von der großen Metropole Frankfurt am Main, nicht unweit auch von Orten wie Schwalbach, Königstein und Kronberg, falls Jemandem die Begriffe etwas sagen). Normalerweise nehme ich die S-Bahn Linien S3 oder S4, allerings darf ich nun bis fünf Uhr morgens warten, bis die nächste solcher Bahnen wiederkommt, denn, die letzte Bahn fährt um 0:55 und die erste erst wieder um 5:09 Uhr. Verdammt. Würde es bloß nicht so regnen...ich setzte mich in den nächsten MCDonald's, der hat ja glücklicherweise länger offen und denke nach. Hat Kathi nicht mal erwähnt, dass ein Nachtbus fährt? Obwohl ich müde bin, und am liebsten an Ort und Stelle eingepennt wäre, raffe ich mich auf und laufe zum nächsten Plan. Suche den Nachtbusplan. Oh, gut versteckt. Nachtbuse. Die Linie n11 fährt zu mir. Juhu! Wann fährt mein Bus? Alles was dort steht ist eine grobe Zeitrichtung. 0:40 bis 4:00 Uhr...von der Konstablerwache, Treffpunkt aller Nachtbuse. Glücklicherweise fahren noch einige U-Bahnen, sodass ich von meinem Standpunkt, dem Südbahnhof schnell wegkomme und nach einem kurzen Marsch über die dunkle, und vor allem nasse Hauptwache, erreiche ich schließlich auch die Konstablerwache. Dort stehen tatsächlich schon einige Nachtbuse. N7, N32...aber noch keine N11. Vereinzelt stehen einige Menschen dort und warten ebenfalls. Jeder für sich, keiner spricht. Na, das kann ja heiter werden. Ich stelle mich unter das kleine Glasdach der Bushaltestelle und warte. Langsam wird mir kalt. Der Rock und die dünne Strumpfhose waren vielleicht doch keine so gute Idee. Ein Mann ganz in der Nähe führt ein Selbstgespräch- er ist offensichtlich betrunken. Ein weiterer durchwühlt den Müll, auf der Suche nach Pfandflaschen und eine Frau, ganz in der Nähe, raucht gedankenverloren eine Zigarette. Ein bisschen gruselig ist es ja schon Nachts alleine hier in Frankfurt...
Es dauert etwa 10 Minuten, bis endlich der Linie n11 auftaucht. Müde, grimmig und unterkühlt steige ich in den Bus ein und setzte mich ganz nach hinten in die letzte Reihe. Hoffentlich setzt sich Niemand zu mir, denn ich brauche meine Ruhe. Einige Menschen steigen ein. Zwei Jugendliche, beide mit einer Bierdose in der Hand, sie sitzen in der Mitte und lachen laut, eine Frau, die sich ganz nach vorne setzt, sonst bleibt der Bus leer. Ein Glück. Der Busfahrer schließt schon die Tür, ich mache mich auf eine lange Fahrt gefasst und schließe die Augen. Da macht der Bus auf einmal die Türen wieder auf. Ich blinzle ein wenig und nehme eine Gestalt war, die den Bus betritt. Eine Gestalt, blond, tritt ein und bedankt sich quietschend bei dem Busfahrer dafür, dass er auf sie gewartet hat.
Woher kenne ich die Stimme? Oder bilde ich es mir nur ein?
Ich schließe erneut die Augen. Ich höre die Schritte, die Absätze der blonden Nachzüglerin, lautes Knallen, hohe Schuhe, dann eine Pause. Anscheinend hat sie sich hingesetzt. Der Bus setzt sich in Bewegung und das Klackern der hohen Schuhe geht weiter. Offensichtlich hat sie sich doch nicht entschieden gehabt. Die Schritte kommen näher. Och ne!
Dann eine Stimme, dieselbe quietschende Stimme wie vorhin: " Svea, bist du das?"
Ich öffne genervt die Augen und blicke in ihr Gesicht. Große grüne Augen, blondes Haar. Ein Lächeln. Am liebsten wäre ich ausgestiegen.
" Anja.", erwidere ich nur knapp.
Anja setzt sich zu mir: " Ist ja eine Ewigkeit her, dass wir uns nicht mehr gesehen haben, was?" lacht sie.
Oh ja- um genau zu gehen...4 Jahre? Zumindest, seit wir das letzte Mal geredet haben.
Hoffentlich will sie nicht reden, ich lehne mich zurück und möchte wieder die Augen schließen, da höre ich sie schon wieder:
" Was machst du so?", fragt sie, " Hast du deine Haare gefärbt?"
Ich blicke sie gelangweilt an: " Schon länger her."
Ihr Haar sieht erstaunlich trocken und glatt aus, trotz des stürmenden Wetters. Mein Haar steht mittlerweile zu allen Seiten ab. War ja klar, dass wir uns so gegenübersitzen. Sie, perfekt wie eh und je- und ich eine Vogelscheuche.
Wieso muss ich ausgerechnet SIE treffen? Andere Menschen treffen ihren Traumtypen im Bus...und ich? Meine Erzfeindin, die plötzlich so tut, als wären wir Bestfriends, als wäre nie etwas passiert.
" Wo steigst du aus, bei Niederhöchstadt?", fragt sie mich nach einer Weile des Schweigens. Merkt sie nicht, dass ich nicht mit ihr reden will?
Ich verdrehe die Augen: " Nein, bei Eschborn weißt du, ich bin wohne nämlich seit Neuestem da."
Wir beide wissen, dass ich in Niederhöchstadt und sie in Schwalbach wohnt, eine Station später. Wäre ich in letzter Zeit umgezogen, hätte meiner Mutter es ihrer erzählt. Ich hatte keine Lust auf Smalltalk.
So leicht gab Anja nicht auf: " Hey, wie geht es deiner Schwester?"
"Super.", sage ich und in Gedanken füge ich hinzu: Sie kann dich genauso wenig leiden, wie ich dich.
Jetzt schweigen wir.
Der Bus hält im Dunkeln und die zwei Jungs steigen aus. Sie haben ihre Dosen im Bus stehen lassen. War ja klar.
Der Bus setzt sich wieder in Bewegung.
" Wie lange willst du denn noch sauer auf mich sein?", platzte es schließlich aus Anja heraus.
Ich drehe mich zum ersten Mal seit unserem Gespräch zu ihr um. "Bitte?"
" Komm schon Svea, das war vor drei Jahren...da waren wir 13.", sagt Anja, " Wir waren da doch noch halbe Kinder."
Ich schaue wieder nach vorne. Außer uns ist nur noch die Frau im Bus und der Busfahrer. Da ich nicht antworte fährt Anja fort: " Außerdem sind Jan doch schon längst kein Paar mehr...sind es auch nie gewesen."
All die Jahre habe ich Anja keines Blickes gewürdigt, bin stolz an ihr vorbeigelaufen, wenn ich sie auf der Straße gesehen habe, und jetzt, jetzt sitzt sie hier und all der Zorn entflammt von Neuem, all meine Gleichgültigkeit, die ich über Jahre hinweg zu meinem Markenzeichen gemacht habe, fällt von mir ab: " Weil ihr kein Paar mehr seit? Deshalb soll ich nicht mehr wütend sein?" Ich lache schrill. Anja sieht mich verständnislos an. " Wir waren beste Freundinnen Anja, und Jan war mein Freund!"
" Ja, ich weiß, es war ein Fehler...aber wir haben gesagt, dass wir uns niemals wegen einem Jungen streiten würden...", beginnt Anja.
" Es ging doch gar nicht nur um Jan. Es ging um dich, immer nur um dich.", schreie ich sie an, so laut, dass sogar die Frau sich zu uns umdreht, doch das ist mir jetzt egal, " Du hättest jeden Jungen haben können, hattest doch schon zwei Freunde vor mir und ich habe es dir immer gegönnt. Immer."
Anja schweigt und sieht betreten zu Boden.
Doch ich höre nicht auf, rede mich erst warm: " Dann bin ich endlich mit Jan zusammen, den Jungen, in den ich Hals über Knopf verknallt war und, was machst du dann?", meine Stimme zittert ein wenig und wird leiser,
" Knutscht du mit ihm herum, vor meiner Haustür." Die letzten Worte schreie ich wieder.
" Ich...", beginnt Anja, " Jan...er...ich...wir hatten Gefühle..."
" Ja, auf einmal war die Ricky nicht mehr gut genug und deine Schwärmereien für Lars auch vergessen.", spotte ich, " So war es doch immer, nicht nur bei Jan! Du hast mir nie etwas gegönnt. Keine guten Noten, keine Komplimente, keine Erfolge. " Wieder lachte ich bitter, " Nicht mal neue Freunde, mit denen du nicht befreundet warst, nicht wahr? Gleich immer zu ihnen laufen und peinliche Geschichten über mich ausplaudern?"
Anja schweigt. Mein Wutausbruch trifft sie unerwartet.
" Du kannst meinetwegen alles haben. Jan, Niederhöchstadt, Schwalbach...aber lass mich in Ruhe.", keife ich sie an.
Nächster Halt: Niederhöchstadt leuchtet es rot auf der Anzeige und ich drücke auf den STOPP Knopf.
Ich stehe bereits auf, da höre ich Anjas Stimme hinter mir, leise und, so scheint es mir, schluchzend.
" Was ich getan habe, war falsch, ich weiß.", sagt sie, " Ich war nur eifersüchtig auf dich..."
Schweigen.
"Du und Jan ihr schient so glücklich und immer öfter hast du mich vergessen...", ihre Stimme ist so leise, sie flüstert fast, "...ich wollte, dass du wieder nur für mich da bist."
Langsam kommt der Bus zum Stehen.
" Meine Beziehungen waren nie so eng, zu dem Zeitpunkt...mein Gott, wir waren ja so jung.", sie wird ein bisschen lauter, " An erster Stelle waren trotzdem immer noch wir zwei..."
Der Bus steht.
"...Ich dachte durch den Kuss schickst du Jan in die Wüste und es sind wieder wir beide.", sagt sie.
Ich drücke den Knopf.
Springe aus dem Bus. Sie rennt zur Öffnung. Wir stehen uns gegenüber, sie im Bus, ich außen. Die Luft ist kalt und peitscht mir durchs Haar, aber es hat aufgehört zu regnen.
" Wärest du eine echte Freundin gewesen, hättest du mit mir darüber gesprochen und hättest nicht versucht mein Glück zu zerstören.", sage ich. Ein Zischen ertönt, der Bus will erneut losfahren.
" Wärest du eine echte Freundin gewesen, hättest du dich für mich gefreut.", sage ich, dann schließt sich die Tür.
Der Bus fährt los.
Ich bleibe zurück.
Bebend. Aufgeregt. Wütend...und doch...entspannt.
Endlich einmal bin ich meine Wut losgeworden, habe aufgehört sie in mich hineinzufressen, habe sie aus mir heraus geschrien...ich fühle mich besser, viel besser und so beschwingt laufe ich langsam nach Hause.
Eigentlich hatte ich mir geschworen, nie mehr mit Anja zu reden...und doch, tat es im Endeffekt gut. Vielleicht wird sie eines Tages meinen Zorn verstehen und vielleicht, ganz vielleicht werde ich ihr eines Tages dann verzeihen, aber im Moment verdränge ich sie langsam aus meinen Gedanken, während ich nach Hause schlendere.

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