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Etwas klaustrophobisch.
Etwas Höhenangst.
Etwas Angst vor dem Ungeschütztsein. Wie Mäuse, die sich nur entlang den Wänden bewegen.
Tata besass Mama. Mama besass Mamurluk und seinen Bruder. Die Kinder waren Besitz von Tata und Mama. Sie entschieden, ob Mamurluk leben oder sterben sollte. Im Streit sagte Mama das wortwörtlich.
Deshalb diese Träume der Flucht. Deshalb dieser Wahnsinn, wenn etwas grösser als Mamurluk ist. Eine Baustelle. Eine automatische Warenhausglastüre. Ein Motorrad. Ein Riesenrad. Ein Chef. Biologisch: Der Vater der Kinder.
So war, Tata eigentlich fair. Er begoss Mamurluk nicht mit Benzin. Er sperrte Mamurluk einfach aus dem Haus aus und begoss die Stube, in eins Esszimmer, mit Benzin. Tata setzte sich du nahm eine Zigarette hervor. Und Mama stand da, wie ein Mädchen und bettelte ihn an, dass er doch aufhöre . Und Mamurluk stand draussen in der herbstlichen frühen Nacht und sah durch Fenster, was drinnen geschah. Ich glaube, dass er niemals bisher in seinem Leben so wütend war. (Nicht war, der du das liest, weißt auch, was Wut ist?!) In diesem Moment, dachte Mamurluk keinen Augenblick daran, dass Vater auch sterben könnte. Ich gestehe es. In diesem Augenblick, dachte Mamurluk auch nicht daran, dass er sterben könnte. Ich gestehe es widerwillig. Mamurluk trat durch die Balkonglastüre, ohne sich zu verletzen; wohl wie der Standman von James Bond und schrie aus der Vagina heraus: „Und du Mama gehst sofort raus!“ Die Mama war draussen –sehr schnell alles- und Mamurluk nahm den Besen in die Hand für den Fall, dass Tata ihnen folgen würde. Mamurluk hätte Tata dann windelweich geprügelt. Er hätte ihn geschlagen. Er hätte Mama verteidigt. Seit daher hatte Mamurluk Tata nicht mehr gesehen. Und Mamurluk muss zugeben, dass es ihm Leid tut, Tata nicht verprügelt zu haben. Aber Mamurluk hat Tata nicht angefasst. Er ist bloss durch eine Scheibe gerannt und hat seine Mutter gerettet. Weder Divljak, noch Mamurluk hätten ihre Hand gegen Tata erhoben. In der blödsinnigen amerikanischen Serie, sagte der Detective, dass das Opfer unter dem Stockholm-Syndrom leide. Sie indentifiziere sich mit dem Täter. Aber Tata ist damals auch nicht aus dem Haus gelaufen und hatte Mama und Mamurluk auch nicht angriffen.
Ich bin Tata.
Ich bin nicht Tata.
Ich bin Mama.
Ich bin nicht Mama.
Ich bin ich.
Mamurluk ist Mamurluk.
Daher, die Depression.

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Die Eltern, aus armen Verhältnissen, die Mutter gar aus sehr ländlichen abergläubischen Voodoo- Verhältnissen, ausgewandert als Gastarbeiterin, gerade mal vier Jahre Schulbildung, Analphabetin, autoritätsgläubig und als Frau hilflos ohne ihren Mann. Mamurluk möchte hier seine Generation ansprechen. Mamurluk zurück gelassen von den Eltern, als diese in die Schweiz arbeiten gingen. Erste Sozialisierung in Serbien. In einem kleinen Bauerndorf, wo man noch erblindete von der Sonnenfinsternis, im Fernseher Teufel steckten, im Plumpsklo Erleichterung rief und das Wasser eiskalt. Die Eltern Fremde. Jene die konnten und wollten, holten ihre Kinder nach. Die Eltern selber nicht integriert, holten die Kinder. Die Kinder gerade mal die Erstsprache einigermaßen gelernt, schon die Zweitsprache. Lesen und Schreiben können sie nicht in der Muttersprache. Mama wird es ihnen auch nicht beibringen. Bei den Hausaufgaben in der Schule noch weniger helfen können. Ausserdem sind die Eltern in einem fremden Land. Selbst wenn sie Rechte haben, nehmen sie diese nicht in Anspruch. Viele glauben gar nicht, dass sie Rechte haben könnten. Die Kinder werden an einem kurzen Seil gehalten. Die Eltern haben Heimweh. Der Vater ist überfordert. Die Eltern blühen nur auf, wenn sie wieder ‚nachhause’ können. Denn dort, fühlen sie sich als respektierte Menschen. Sie werden auch in einem gewissen Sinn respektiert von ihren Freunden und Verwandten in der Heimat. Aber zum Teil um so mehr, je mehr sie Geschenke und Geld, Devisen, nach Hause bringen. Die Eltern haben zu früh geheiratet. Die Mutter müsste ihren Mann verlassen, aber wie soll sie ohne ihn leben? Sie kann ihr Leben nicht selbst bewältigen. Mit zwei Kindern schon gar nicht und von den moralischen Blockaden nicht einmal zu reden. Sie sind früh verheiratet worden. Der Druck ist gross. Die Fremde ist eng. Der Vater trinkt und die Mutter ist depressiv, hypochondrisch und fordernd. Die Ehe ist am Brechen. Man beschimpft sich, man streitet sich, man schlägt sich, man schlägt sich sogar Spital reif. Man leidet aneinander. Die Kinder wissen nichts. Sie sind gestempelt als Ausländer. Sie wissen nicht woher sie kommen. Nichts wissen sie über ihre Herkunft. Sie sprechen ein Küchenserbisch. Sie wissen weder, wie ihre Urgrossmutter heisst, noch wie sich die Eltern kennen gelernt haben, noch irgendetwas. Wie Schweizer Kinder dürfen sie nicht leben. Die Schweizer Kinder geniessen zu viele Freiheiten.
Die Kinder sind schlecht in der Schule. Die Kinder haben Angst vor dem Vater. Die Mutter entwickelt sich zu einer Rabenmutter. Zu einer engstirnigen, aggressiven, hysterischen Mutter, bei der alles piccobello sein muss, damit man sich als Ausländer nicht schämen muss in diesem Land.
Mamurluks Mutter verhält sich, als hätte sie Serbien nie verlassen. Der Vater lernte die Sprache, versuchte sich zu integrieren, aber seine Frau war den Schweizern gegenüber zu misstrauisch. Das waren jene, die uns als Zweitklassemenschen ansehen. Was Mutter auch erfahren hat. Was Mama auch erfahren hat. Die Kinder übersetzen für Mama beim Arzt. Die Kinder sprechen für Mama, weil Mama einfach die deutsche Sprache nicht lernen kann. Sie kann nicht in einer anderen Sprache sprechen, als in der, in die ihre Zunge hineingewachsen ist.

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