Abgang

Metallische Schlaggeräusche hallten aus der Öffnung durch die Nacht. Verschlissene gerillte Eisenquader wanderten stoss auf stoss, nahtlos und rhythmisch in die Bodenebene vor ihm hinein. Noch steif von seiner langen Auszeit betrachtete Dracula die wandernde Treppe, die sich auf ihn zu bewegte. So eine Einrichtung hatte er bisher noch nicht gesehen. Er dachte darüber nach wie er nach unten gelangen könnte, ohne die steile Stiege daneben benutzen zu müssen. Jeder Schritt verursachte höllische Schmerzen und ein heißes Ziehen in seinem Rücken. Er brauchte endlich wieder frisches Blut. Immer wieder kamen ihm Menschen aus dem Untergrund entgegen. Plötzlich stellte er sich einem Passanten in den Weg, packte ihn am Arm und fauchte ihn hysterisch an, "Was befindet sich da im Untergrund? Gibt es noch einen anderen Weg nach Unten als diesen hier?".
"Das ist die U-Bahn du Idiot!" sagte der Jugendliche genervt, riss sich los und eilte an ihm vorbei. "Alter Sack!" warf er ihm noch hinterher.
"U Bahn?", murmelte Dracula vor sich hin.

U Bahn, Blut Bahn, was soll' s, dachte Dracula, schlimmer kann es nicht werden. Er stellte sich abseits der rollenden Treppe und sah sich vorsichtig um. Niemand sah ihn an oder schien sich für ihn zu interessieren.
Die Schmerzen bei der Wandlung in eine Fledermaus brachten in beinahe um seinen Verstand. Untot zu sein, war nicht immer ein Vergnügen.
Der Flug in die Tiefe endete beinahe in einem Desaster. Nur mit Mühe bekam er noch eine Flugkurve hin, bevor das heranbrausende Ungeheuer in verschlingen konnte.
Nun hing er, zur glaubwürdigen Tarnung verdonnert, mit dem Kopf nach unten an der Hallendecke und bestaunte das hektische Treiben der vielen Menschen unter ihm. Was, zur Hölle, treibt die Leute zu dieser Eile an? wunderte er sich und sah sich weiter um. Das bunte Papier an den Wänden gefiel ihm. Die Bilder vieler junger Mädchen und knackiger Knaben strahlten ihn an. Wo, verdammt, kann ich Euch alleine erwischen?
Er dachte noch darüber nach, ob er einem Kind nachfliegen sollte, das alleine zu einer der gefliesten Gänge hopste, als sein durch die Anatomie der Fledermaus getrübter Blick auf das Bild einer wunderschönen Maid fiel. Ein appetitlicher, dunkelrot gefärbter Beutel lockte in ihren zarten Händen. Darüber stand in großen Lettern: Spende Dein Blut!

Informationen. Dass war es , was er jetzt brauchte, abgesehen von dem überlebenswichtigen Blut. Die Glut des Lebens, die Energie, die ihn in der Vergangenheit immer wieder Großes schaffen ließ, verkümmerte gnadenlos zu einem albernen Flehen nach Existenz. Er ahnte, dass seine Kraft kaum noch ausreichen würde, sich wieder zu wandeln.
Ratten! Beinahe wären sie ihm entgangen, wie sie über die Gleise huschten. Mit einem Aufschrei, der seinen aufkommenden Wahn wiederspiegelte, stürzte er sich auf sie und saugte sie aus; zwei, drei, die vierte entriss sich ihm, als er von einer menschlichen Stimme abgelenkt wurde: "Hey Kumpel, schmeckt's?"
Schwarze. Ich kann es nicht glauben, dachte er und floh in die tiefe Dunkelheit des Tunnels, wo er sich sofort verwandelte. Beim Anblick der Gruppe Helfer hatte er den Impuls zum Wandeln ausgelöst, bevor ihm bewusst geworden war, dass er sich ihrer nicht sicher sein konnte.
Aber, nährte er seine Hoffnung, schwarze Haare, Augen in dunkle Farben gehüllt, dunkle Kleidung und viel dunkler Schmuck. Metalle, mit den Zeichen des Teufels gesegnet. Es waren Helfer oder - und jetzt zeichnete sich ein diabolisches Lächeln auf seinem Gesicht - ich wandle sie in solche.
Bis zur Schattengrenze trat er vor, beobachtete die - oh welch ein Anblick! - jungen Leute.
Endlich löste sich eine der Gestalten von der um eine Sitzbank herumlungernden Gruppe und kam auf ihn zu. Eine Frau, ein Mädchen. Er konnte sein Glück kaum fassen. Alles in ihm fing an zu kribbeln. Seine Eckzähne schossen hinaus, der Speichel floss in Strömen.
Als das Mädchen, ihn beinahe erreicht, den schwarzen Lodenmantel öffnete und er ihren schlanken Hals zum Greifen nahe vor sich sah, wendete diese sich plötzlich nach links und verschwand hinter einer grauen Tür, auf welcher der Schattenriss einer Frau abgebildet war.
Ich halt es nicht mehr aus, dachte er verzweifelt, ihr dunklen Mächte helft mir. Mit der unglaublichen Wut, die blitzartig seinen Verstand übernommen hatte, sprang er ins Licht des Bahnbereichs. Die Tür! schrie alles in ihm nach dem Mädchen, und er stürmte hinein.

Das Mädchen schrie noch immer. Sie hatten sie auf einer Liege festgeschnallt und der Notarzt pumpte alles an Beruhigungsmitteln in sie hinein, was seine Erste-Hilfe-Tasche hergab.
"Und?" fragte der Polizist, "hat irgendjemand von Ihnen etwas gesehen?"
Das allgemeine Kopfschütteln wurde nur von einem der Grufties unterbrochen, als dieser einen Schritt vortrat.
"Ja? Sie können etwas berichten?"
"Na ja ...", antwortete dieser zögernd. "Ich bin sofort rein, als die Kleine schrie und hab dann gesehen, dass sie mitten in dem grellen Sonnenlicht des geöffneten Oberlichts vor einem Haufen Asche stand."
"Asche? Woher wollen Sie wissen, dass der mittlerweile so wunderbar zertrampelte Dreck auf den Fliesen Asche war?"
"Weile das Zeug wie Hölle gestunken hat, als ich hineinkam. Als wenn jemand aus derselbigen soeben verbrannt worden war."
Der Polizist winkte frustriert ab, als die Goths jubelnd ihren Sprecher umfingen. Die Kleine hatte wahrscheinlich zu viel Haschisch geraucht.

Summary

Wie ein Vampir sein Ende findet

Authors

H.P.BarkamH.P.BarkamRank 3, tomtomRank 4

Idea

Dracula versteht die Welt nicht mehr